Pas de deux
Tages, und in immer kürzeren Abständen, hatten uns allerlei Zeichen gewarnt, und mittlerweile rauschten wir in dem Licht roter und hysterischer Alarmleuchten dahin, und nichts vermochte uns noch von unserem Weg abzubringen. Anna schenkte ihnen keine Aufmerksamkeit, sofern sie sie überhaupt sah. Ich warf ihr von Zeit zu Zeit einen Blick zu, fragte mich, welche Wunder sie gegen mich wirkte. Und dann auch, wie sie es hinkriegte, mir den Weg zu weisen, und sei es nur eine schlichte Richtungsänderung, wo wir doch fortgetragen, mitgerissen wurden von einem unwiderstehlichen Strom, der uns nach unten zog. Wie dem auch sei, ich folgte ihren Anweisungen. Ich bemühte mich nicht mehr, meine Nase in die Karte zu stecken, da ich der Anschauung war, daß das keinerlei Bedeutung mehr hatte. Ich fuhr mit Volldampf, aber ich hatte es nicht eilig. Wir waren erneut im Wald, unterwegs zu unserem neunten und letzten Etappenziel, und ließen die Kathedrale von Chartres hinter uns, wo man uns vor dem Nordportal des Querschiffs über das Alte Testament ausgequetscht hatte, während Anna eine Kerze stiftete und betete, daß wir die Spitze übernahmen. Aber uns konnte nichts mehr retten, und sie noch weniger als jeder andere. Ich hörte ihr zu, und manchmal fand ich mich auf Feldwegen wieder, kurvte im Zickzack um Schlaglöcher herum, um ein paar lausige Kilometer zu gewinnen, aber nicht das stürzte uns ins Verderben, auch nicht die Fehler, die ihr unterliefen, wenn sie unsere Route entschlüsselte – ich stimmte jedem ihrer Vorschläge zu –, nein, was uns in die Irre führte, war ihre Eitelkeit. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Das war dermaßen schlimm – und bis zu diesem Tag hatte ich die ganze Tragweite noch nicht ermessen –, daß man sie nicht mehr erreichen konnte, daß sie nichts mehr an sich heranließ, wenn etwas schiefging. Sie kapselte sich ab, löste sich in Luft auf, wenn ein Quentchen Demut der Preis war. Sie summte vor sich hin, mit halbgeschlossenen Augen, den Nacken auf der Rückenlehne und einen Arm zum Fenster hinaus, als handele es sich um eine Bootsfahrt. Sie schien in einer leichten Betäubung versunken zu sein, eine Andeutung von einem Lächeln auf den Lippen, das ich nur mit verkniffenem Gesicht beobachten konnte. Aber ich schaffte es nicht, mir einen Ruck zu geben.
Als wir auf dem Parkplatz des Gasthofs ankamen, vergewisserte ich mich, obwohl ich es längst wußte, daß wir wirklich die letzten waren. Leider bestand nicht der geringste Zweifel, alle Fahrzeuge waren da, schräg geparkt und wunderbar in Reih und Glied, aber ich verkniff mir jeden Kommentar.
Ich wartete einen Moment, während sie sich im Licht der Innenleuchte neu schminkte. Ich schlich in der Zwischenzeit, so als ob nichts wäre, um die MGS herum und befühlte ein paar Motorhauben, und sie waren kalt wie Stein.
»Paß auf«, sagte ich zu ihr, als ich zurückkam. »Liegt dir wirklich so viel daran? Ich kann reingehen und ihnen erklären, wir seien müde, ich brauch nicht lang. Dann beschließen wir diesen Abend zu zweit, wir tun etwas, wozu du Lust hast. Hm, was hältst du davon?«
Ich war vor ihr stehengeblieben und beugte mich über ihre Tür. Sie starrte mich einen Moment lang an, aber ich hatte das Gefühl, sie schaute durch mich hindurch.
»Ich seh doch nicht zu schrecklich aus?« erkundigte sie sich unbefangen, obwohl ihre Stimme ein wenig matter klang als sonst.
Im Grunde hätte ich nicht sagen können, ob sie sich in die Flammen stürzen wollte oder ob sie so blind war, sich einzubilden, wir hätten ein ehrenvolles Rennen absolviert. Ich mußte zur Seite treten, damit sie aussteigen konnte. Ich hoffte, es werde ihr irgendwie leid tun, denn so war es nun einmal.
Sie saßen an der Theke, hinten im Saal. Die Begrüßung fiel genau so schwungvoll aus, wie ich es geahnt hatte, es wurde applaudiert, gepfiffen, sie rissen Witze, die, wie ich spürte, eher mir galten – Anna gehörte zu ihnen, zumindest ihre Schönheit hemmte sie –, sie lästerten, kicherten, zogen uns auf, während wir auf die Versammlung zugingen, aber sie hatte es nicht besser verdient. Außerdem waren das ihre Freunde, sie selbst hatte sie sich ausgesucht.
Ich blieb mitten im Raum stehen, damit sie sich austoben konnten. Diese Art Bekundungen machten mir nicht viel aus, ich wußte ja, von wem sie kamen. Wir waren zu verschieden, als daß wir uns hätten verletzen oder verhohnepiepeln können, sie mich nicht und ich sie nicht. Anna hingegen zeigte Wirkung.
Weitere Kostenlose Bücher