Pas de deux
Als ich sie bat, mich nicht weiter auszufragen, weil ich keine Lust hätte, darüber zu reden, stand sie brüsk vom Tisch auf und warf böse ihre Serviette fort. Ich durfte also meinen Nachtisch allein essen, ein Stück Tiramisu – ihr Lieblingsdessert –, in dem Bewußtsein, den Gesprächen über mich neue Nahrung gegeben zu haben, Gespräche über das Thema der verderbten Sitten, mittlerweile ergänzt um die Sorgen und Komplikationen, die dieser Rederei unweigerlich folgten.
Trotz allem wartete sie neben dem Wagen. Ich glaubte, nach ihrem rasenden Einkaufsbummel habe sie die Hitze davon abgehalten, zu Fuß nach Hause zu gehen. Aber als ich gerade losfahren wollte, reichte sie mir, untermalt von einem leisen Seufzer, einen Umschlag. Sie hatte ihren Ellbogen gegen die Tür gestemmt und stützte ihren Kopf, als wäre ihr meine Gegenwart eine Last.
»Das ist dafür, daß du so nett zu mir bist und immer so freundlich«, seufzte sie.
Es handelte sich um eine wundervolle Krawatte, eine ganz nach meinem Geschmack.
»Die paßt gut zu deinen Augen«, fügte sie beinahe widerstrebend hinzu.
»Mmm … Na komm, ich geb dir ’nen Kuß.«
»Ich brauche keinen Kuß von dir.«
Das war die fünfte, die sie mir schenkte. Manchmal fragte ich mich, was ich ihr als Gegenleistung offerieren konnte, aber mir fiel nichts ein. Eines Tages hatte ich ihr die Füße massiert. In all den langen Jahren meiner Kindheit hatte meine Mutter stets behauptet, sie kenne auf der Welt keinen, der mir darin das Wasser reichen könne, und sie hatte ihre Füße niemand anders anvertraut. Giuletta hatte mich während dieser Prozedur fast verlegen gemacht. Oli war sogar reingekommen, um zu sehen, was los war, so sehr hatte sie gezappelt und vor Wohlbehagen geächzt, und Gott ist mein Zeuge, daß ich meine Macht nicht mißbraucht habe, daß ich ihre Waden nicht berührte und ihre Knöchel höchstens streifte. Am nächsten Tag schon hatte sie mich als Fiesling beschimpft, als ich mich weigerte, mir ihre Füße noch einmal vorzunehmen, und das, obwohl sie den ganzen Abend lang mit verzerrtem Gesicht um mich herumgehumpelt war. Ich war auf der Hut, weil mir nicht ganz klar war, was sie im Schilde führte – es sei denn, sie war von einer schier entwaffnenden Leichtfertigkeit –, denn ich hatte trotz allem nicht umhingekonnt – aus eben diesem Grund hatte ich meine Talente immer weiter entwickelt und die Situation ausgenutzt, sofern es nicht meine Mutter war, die mir ihre Beine hinhielt, in welchem Fall ich meinen Blick fest auf den Teppich nagelte –, hin und wieder zwischen ihre Schenkel zu linsen, was nicht gut war.
Zwei-, dreimal war sie auf meinen Schoß gesprungen, ohne Vorwarnung und spät am Abend, wenn wir alle ein wenig getrunken hatten und Oli mit unseren Gästen quatschte. Ich war jedesmal gezwungen, sie nach einer Minute wieder abzusetzen. Sie fragte mich dann, was mit mir los sei, und da ich sie nach wie vor für ein Kind ansah, wußte ich immer noch nicht, wie ich ihre Anwandlungen und das zweideutige Verhalten interpretieren sollte, das sie mir gegenüber an den Tag legte.
Nun denn, dieses Thema, daß ich nicht nett zu ihr sei, kam oft genug aufs Tapet. Dann übte sie sich ein, zwei Tage lang darin, mich mit Blicken zu töten, und danach entschloß sie sich, mir eine Krawatte zu schenken. Aber ich hatte mich während der Tournee nicht weiter um diese kleinen Wölkchen gekümmert, sie wurde es schneller leid als ich, und solange sie mit mir schmollte, hatte ich sie nicht am Hals. Ich war jederzeit bereit, ihr die Krawatten zurückzugeben, wenn sie es wünschte.
Jetzt ängstigte es mich, mit Oli und ihr allein zu sein. Auf der Fähre, die uns nach New London brachte, war mir plötzlich aufgegangen, daß es nicht mehr so leicht sein würde, sie zu ignorieren, und es fiel mir schwer zu glauben, daß ich mich kurz zuvor von Odile und damit von meiner einzigen Chance verabschiedet hatte. Ich machte mir Gedanken, bis wir auf die 95 einbogen, ich befürchtete, sie könne mir vierundzwanzig Stunden am Tag auf die Nerven gehen, mich mit ihrer Sehnsucht nach Zuneigung, Verständnis, nach, was weiß ich, geheimem Einverständnis oder sonstwas in dem Moment verfolgen, wo ich mir eine Zigarre anzündete, ich stellte mir vor, sie würde mich aus dem Schlaf reißen, würde keine Ruhe geben, bis ich ihr die Füße massierte, würde so lange auf meinem Schoß hocken, bis ich den Kopf verlöre, ich sah die Qualen, die ich über mich würde ergehen
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