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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Wenn es jemals einer Person gelungen sein sollte, Bestürzung, Schmerz und Furcht mit einem Blick auszudrücken, dann ihr an diesem Abend, es war eine eindrucksvolle Demonstration. Fast hätte ich meine Hand nach ihr ausgestreckt, um sie zu beruhigen, aber ich spürte, daß sie von mir abrückte, und mir war klar, daß sie nicht an meiner Seite Trost suchen würde. Tatsächlich wich sie zu den anderen zurück. Ich hätte nicht mit ihr tauschen mögen, denn sie schien einen peinlichen Augenblick zu durchleben. Ihr Lächeln war eine Fratze, ihr Blick mied mich, dann richtete er sich wieder auf mich, sie rief mich an und stieß mich gleichzeitig zurück. Natürlich half ich ihr nicht, ich schaute sie nur kühl an. Ich begriff, daß sie mich als ihren Freund anflehte, mich den Beleidigungen zu entziehen, die weiter auf mich einprasselten und unter denen sie indirekt auch litt, aber ich rührte mich nicht.
    Ich wartete, bis sie es leid waren. Anna war bei ihnen untergeschlüpft, und alles, was recht ist, sie blickte merkwürdig, fast verloren, verstört drein.
    Ich wartete mit stoischem Gleichmut. (» Wenn ich den Kampf zu meiden wünsche, kann es sein, daß ich mich verteidige, indem ich einfach eine Linie über den Boden ziehe; der Feind wird mich nicht angreifen können, weil ich ihn in die Richtung ablenke, die er einzuschlagen begehrt.«)
    Ich wartete, bis einer von ihnen auf das erwähnte Essen anspielte, das ich als Lohn meiner Anstrengungen zu bezahlen hätte.
    »He, Henri-John, alter Freund!« mußte ich mich anranzen lassen, als sie sich mehr oder weniger beruhigt hatten. »Es ist Zeit zu bestellen, findest du nicht?«
    Bei diesen Worten empfand ich eine der größten Freuden meines Lebens. Und um die Wahrheit zu sagen: Mein Glück grenzte an eine Ejakulation, nur daß sie sich nicht in der freien Natur verlor, sondern sozusagen in meinem Innern explodierte, meine Arme und Beine durchfuhr, in mein Hirn stieg und mich überschwemmte und mein Blut in einen reinen und süßen Hauch verwandelte. Meine Ohren brannten wie Feuer. Ein Lächeln oder was weiß ich erhellte mein ganzes Gesicht.
    »Verdammt noch mal«, sagte ich, »das glaubt ihr doch selbst nicht!«
    Meine Worte lösten prompt ein allgemeines verdattertes Schweigen aus. Das war gut. Ich hatte ihnen einen Dämpfer verpaßt. Nichtsdestoweniger erhob sich eine Stimme in der beglückenden Stille, und ich genoß jede Silbe.
    »Komm, Henri-John. Das wäre nicht fair!«
    »Leckt mich am Arsch!« sagte ich und warf ihnen einen vernichtenden Blick zu.
    Ich sah, daß sich Anna mühsam auf einen Hocker hievte. Einige wandten sich mit angewiderter Miene ab. Andere trauten ihren Ohren nicht. Keiner von ihnen hätte es gewagt, sich zu drücken. Nie im Leben wären sie auf die Idee gekommen.
    »Das ist doch Ehrensache«, rief man mir zu.
    »Du hast es erfaßt«, antwortete ich.
    Anna schaute in ihr Glas.
     
    Ich setzte mich in den Käfer. Doch nachdem ich’s mir überlegt hatte, beschloß ich, es nicht noch schlimmer zu machen und per Anhalter zurückzufahren. Aber ich brauchte nicht lang am Straßenrand zu stehen. Der Typ meinte, ich hätte Glück, die Gegend sei ziemlich einsam. Und er fügte hinzu, er könne mich bis Paris mitnehmen, er wohne in Meudon.
    Es war ungefähr zehn Uhr abends. Ich setzte mich eine Weile auf eine Bank in der Nähe des Observatoriums, und ich zündete mir eine Zigarette an. Ich wußte, daß ich hingehen würde, aber ich versuchte mich davon abzuhalten, indem ich zum Beispiel die Zähne zusammenbiß oder mit einem Stück Kordel spielte, das ich mir um den Finger wickelte, damit es mir die Lust austrieb, doch statt dessen betrachtete ich hypnotisiert die Knoten, die ich fabrizierte. Sie faszinierten mich jedesmal. Und das so sehr, daß ich alles in ihnen sah, selbst die geringsten Kleinigkeiten meiner Existenz sammelten sich in einer mehr oder weniger verwickelten Rolle Schnur. Von daher auch das Interesse, das ich der Sache entgegenbrachte, die Hartnäckigkeit, mit der ich dieses Spiel praktisch täglich, wenn mir danach war, zumindest für ein paar Augenblicke betrieb, manchmal unbewußt und ohne Verständnis für seinen tieferen Sinn. Einen Knoten aufzumachen, war eine angenehme Sache, doch ihn zu studieren, ihn zu spüren, sich in die Spannungen, Öffnungen, Gefahren zu versenken, die er in sich barg, war die Quelle viel größerer Freude. Meines Erachtens war ein Typ, der sich mit Knoten auskannte, wie ein Klempner, der sich über ein

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