Pas de deux
zuletzt wegen des Champagners war mir noch ein wenig schwindlig. Ich tauschte weiter mit Oli meine Eindrücke aus, die sich auf die Wiederholung einiger unflätiger Wörter beschränkten, deren Grenzen ich dunkel ahnte. Natürlich kannten wir uns damit nicht groß aus, und wir stießen da an ein Geheimnis, das bei jeder Annäherung vor uns zurückwich. Mir war, als wüßte Edith mehr darüber. Wenn wir dieses Problem anschnitten, setzte sie stets eine überlegene Miene auf, was mich auf die Palme brachte, und wenn ich sie aufforderte, endlich auszupacken, damit wir sehen konnten, worum es sich drehte – »Na, meine Liebe, sollte mich schwer wundern, wenn du mir irgendwas darüber beibringen könntest« –, drückte sie sich und meinte nur, ich könne denken, was ich wolle, es sei ihr egal. Ich bezeichnete sie zwar als blöde Angeberin, aber im Grunde ärgerte ich mich schwarz, denn ich war überzeugt, daß sie die Wahrheit sagte – war es nicht an den Mädchen, uns entdecken zu lassen, was wir voller Verzweiflung nicht kannten? Wer sonst konnte die Lösung dieses Geheimnisses bergen? Jahrelang bildete ich mir ein, eine Frau sei das Rätsel schlechthin. Heute, als Mann, habe ich Schwierigkeiten, mich selbst zu verstehen.
Kurz und gut, wir hielten ohne allzu große Eile auf das Hotel zu, warfen hin und wieder einen Blick zurück, um schnell zu verduften, falls die anderen auftauchen sollten.
Wir waren nur noch zwanzig Meter vom Eingang entfernt, als plötzlich Hemden und Hosen, vom Wind noch ein Stück fortgetragen, mitten auf die Straße flogen. Wir standen auf der anderen Seite, und die Fassade des Hotels, das die Dächer der anderen Häuser um eine Etage überragte, zog umgehend unsere Blicke an. Jetzt purzelten Schuhe hinunter, hinausgeschleudert aus einem Fenster in der 4. Etage, dessen Vorhänge wie lange, weiße Fahnen im Wind knatterten. Dann knallte mit einem Geräusch wie splitterndes Glas ein kleiner Koffer aus Korbgeflecht auf das schneebedeckte Pflaster.
»Das sind Papas Sachen!« rief Edith entsetzt aus und legte die Hand vor den Mund, während über uns ein Mantel durch die Luft wirbelte und langsam vor unsere Füße sank.
Wir waren wie versteinert, drängten uns aneinander. Als Madeleine auf dem Balkon erschien, mit wirren Haaren und nur mit einem Unterrock bekleidet, den der Wind aufplusterte oder zwischen ihre Beine blies, rückten wir noch enger zusammen. Dann begann sie zu schreien, aber wir konnten ihre Worte nicht verstehen, ihr Mund war ein schwarzes Loch mitten in ihrem Gesicht. Sie schleuderte Schals und Tücher, die Krawatten, die Georges’ große Leidenschaft waren und wie bunte Blitze durch die Luft schossen. Sie krümmte sich und stöhnte da oben, daß man meinte, sie würde von einer unsichtbaren Kreatur gequält, die sie von allen Seiten angriff. Ich wußte nicht, ob sie uns meinte, als sie die Faust in unsere Richtung ballte, auch nicht, ob sie betrunken war. Ich wußte nicht, was sie hatte, aber ihr Schreien machte uns angst und bange. Dann sprang sie plötzlich über Bord.
Ihr Schreien hörte im gleichen Augenblick auf, und ich glaube, im ersten Moment war ich fast erleichtert. Sie fiel wie ein nasser Sack, ohne mit Armen und Beinen zu strampeln.
Ihr Körper schlug lautlos auf dem Bürgersteig auf, ließ den Schnee ringsum aufspritzen.
Im gleichen Moment stürzte Edith vor. Aber ich setzte ihr nach und umklammerte sie, und wir wälzten uns auf der Erde. Sie wehrte sich heftig, schlimmer als eine Wildkatze, quiekte und fauchte, schrie, ich solle sie loslassen, und riß mir nebenbei ein Büschel Haare aus, aber ich drückte sie mit aller Kraft, stemmte den Kopf gegen ihre Schulter und preßte die Lider vor meinen Augen zusammen wie Fäuste, und schließlich schaffte ich es, daß sie stillhielt, sie verzichtete darauf, sich mir zu entwinden. Oli, der neben uns stehengeblieben war, begann zu weinen und sich im Kreis zu drehen. Edith biß sich auf die Lippen, und ihr Gesicht wurde verkniffen, es erbleichte, daß mir ihr Mund blau und ihre Zähne gelb wie die Tasten eines alten Klaviers vorkamen. Oli ließ sich zitternd gegen mich fallen, und sein lautes Wimmern hallte durch meine Brust, als hätte ich mich gegen eine Glocke gelehnt. Als ich ihre Tränen sah, bedeckte ich Edith mit hastigen, konfusen Küssen, und auch meine Tränen tropften in ihre Haare, jetzt, da mir allmählich aufging, was geschehen war. Ich streckte einen Arm aus, um Oli zu packen, und wir steckten unsere
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