Pas de deux
verkündete. »Meine Lieben, ihr seid eingeladen, den Sommer in den Vereinigten Staaten zu verbringen!« Selbst ich biß mir auf die Lippen, obwohl ich doch Bescheid wußte, und ich spürte, wie mein Lächeln durch meine Zähne huschte. Oli hat angefangen zu brüllen und mit der Faust aufs Armaturenbrett gehämmert. Henri-John hat ihm geholfen, uns den letzten Nerv zu rauben. Dann ist er losgerast, und auf dem Weg nach Meudon sind wir überall bei Rot durchgerauscht.
Sie haben mein Zimmer erst am frühen Morgen verlassen, um Meryl zurückzubringen. Ich habe eine ganze Weile auf dem Bett gelegen, bevor ich angefangen habe zu schreiben. Aber ich merke schon, ich schaffe es nicht, ich bin zu aufgeregt.
21. Juni 1965
Wir fahren in einer Woche. Papa hat uns die Tickets besorgt. Wir haben ihm gesagt, wir kämen schon zurecht, aber er hat darauf bestanden, sie uns zu spendieren. Es paßt ihm nicht, daß wir ihn während der Tournee verlassen, trotzdem hat er nichts gesagt. Er hat uns nur kopfschüttelnd angeschaut.
Meryls Vater hat ein Haus in Cape Cod. Er selbst wohnt in New York. Meryl meint, wenn alles gutgeht, sehen wir ihn nicht allzuoft, höchstens an den Wochenenden. Wir werden also zu viert sein. Abenteuer liegen in der Luft.
Meryl will immer noch nicht mit mir darüber reden. Aber ich bestehe auch nicht darauf. Ich finde, ihre Diskretion ehrt sie, und mitunter regt mich meine Neugier auf. Da treffe ich mal eine, die ihre Geschichten nicht überall rumposaunt, und dann bin ich diejenige, die alles wissen will. Und ich weiß gar nichts.
Ich habe längst aufgehört, die Mädchen zu zählen, die in den letzten Jahren in Henri-Johns Armen gelegen haben, warum also sollte ich mich jetzt beunruhigen? Nun ja, ich muß zugeben, Meryl fällt aus dem Rahmen. Ich glaube, ich würde nicht zögern, wenn ich an Olis oder seiner Stelle wäre. Ich frage mich, ob die beiden darüber reden. Ich hab das Gefühl, das ist das erste Mal, daß ihnen so etwas passiert, und das dürfte ihnen einige Probleme bereiten. Das hört sich an, als könnte ich darüber nur lästern, dabei spüre ich, daß die Sache kompliziert wird, wenn wir erst mal drüben sind. Ich verstehe nicht, warum sich noch keiner von den beiden entschieden hat. Bislang hatte ich nicht den Eindruck, daß sie zu den Schüchternen im Lande gehören oder sich lang und breit zieren. Die Sache dürfte also ziemlich ernst sein. Und Meryl, weiß sie wenigstens, wem sie mehr zugetan ist? Ich bin mir nicht sicher. Papa hat sie während des Unterrichts einige Male zusammengestaucht, dabei ist sie eine der besten. »Noch seid ihr Amerikaner nicht auf dem Mond, also tu uns den Gefallen und bleib mit den Gedanken bei der Sache!« Ich weiß, woran sie denkt. Man kann Henri-John spielen hören, und Oli kommt ständig vorbei, um Papa ein paar Sachen unterschreiben zu lassen, oder er steckt seine Nase zur Tür herein wegen irgendwelcher Verträge, die es auszuhandeln gilt, oder sonstwas. Es dürfte ihr schwerfallen, nicht an sie zu denken.
Am Nachmittag haben Elisabeth und ich bei dem Botschafter der Vereinigten Staaten vorbeigeschaut, um schnell an unsere Visa zu kommen. Er hat ihr die Hand geküßt. Wenn ich recht verstanden habe, geht das auf die Zeit vor Henri-Johns Geburt zurück, als Elisabeth an der Oper war. Kurz und gut, wir sind ein wenig durch den Faubourg Saint-Honoré gebummelt und hatten unseren Spaß daran, in den Geschäften alles mögliche anzuprobieren. Es war wirklich angenehm. Ich bin gern mit ihr zusammen. Sie hat mir gesagt, sie habe in ihrem Leben zwei Leidenschaften gehabt: den Tanz und Henri-Johns Vater. Lediglich eins von beiden hätte ihr vermutlich nicht gereicht. »Ein Mann ist nicht das ganze Leben, und der Tanz ist auch nicht das ganze Leben. Man muß genießen, meine Liebe … Opfere nichts. Pflege, was du im Kopf und was du im Herzen hast, und laß nicht zu, daß eins das andere aufzehrt. Dann bleibst du frei.« Darauf habe ich ihr geantwortet, ich wolle Schriftstellerin werden. Ich weiß nicht, warum ich das gesagt habe. Wahrscheinlich hatte ich Angst, für eine Idiotin gehalten zu werden. Ich habe sie gebeten, mir zu schwören, daß sie niemand davon erzählt. Sie hat mich angeschaut, als sei ich ein Engel, den der Himmel schickt. Daß mir so etwas über die Lippen kommen konnte … Bis zum Abend hatte ich Magenschmerzen. Regelrechte Krämpfe.
Als ich vorhin in mein Zimmer kam, fand ich einen Zettel von Elisabeth. Ich weiß nicht, ob ich
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