Pas de deux
annähernd so stark war. Wenn mich Zweifel überkamen, brauchte ich dich nur anzuschauen, um zu sehen, wie jämmerlich ich war. Aber jetzt … Ich dachte, du könntest Berge versetzen, doch mehr als die ewige Hölle hast du nicht zu bieten. Ich hoffe, du brauchst dich für einen solchen Zinnober nie zu rechtfertigen.«
»Dieses Leben ist nichts, und das weißt du. Ich verlange nicht, daß du mich verstehst. Laß dir gesagt sein, daß uns die Ewigkeit erwartet und daß uns keine zweite Chance vergönnt ist. Die Scheidung ist ein Verbrechen vor dem Herrn. Am Tage des Jüngsten Gerichts wird es zu spät sein für die, die dies ignoriert haben. ›Ihr Platz ist in dem von Feuer und Schwefel versengten Teich, ein zweiter Tod.‹«
Ich habe mit Evelyne über dieses Gespräch geredet, als sie sich eines Abends ans andere Ende des Gartens vorwagte. Sie war ein nettes Mädchen, wenn man sich nicht um ihre Angelegenheiten kümmerte, und das hatte mich immer vor Probleme gestellt, denn ich war ihr Vater. Sie fand, daß ich in meinem Puppenhaus gut reden hatte. Kurz und gut, sie war es, die mir verriet, daß ›Brighton and Tornbee‹, der Laden, der Ediths Bücher in den Vereinigten Staaten veröffentlichte, sich ohne Angaben von Gründen geweigert hatte, ihr letztes herauszubringen. Sie fragte mich, ob da, via Richter Collins, ein Zusammenhang mit ihrem Großvater bestünde. Ich hatte keine Ahnung. Da ich am gleichen Abend mit Oli dinierte, stellte ich ihm die gleiche Frage. Er fing an zu lachen.
»In dem Punkt bist du genau wie er«, sagte er. »In Papas Augen sind es die Freimaurer. Und für dich, wer ist es? Eine dieser finsteren Verbindungen, die ihr Netz über die Welt werfen, um eine moralische Ordnung wiederherzustellen oder die Rückkehr Christi vorzubereiten? Sei unbesorgt, wenn eine solche Organisation existiert, dann hat sie bestimmt Wichtigeres zu tun, als sich um deine Probleme zu kümmern. Hör mal, du weißt so gut wie ich, daß Ediths letztes Buch nicht besonders gelungen ist. Warum dann gleich eine solch phantastische Geschichte?«
Giuletta war aus einem mir unbekannten Grund schlecht gelaunt. Oli hatte mich nur angeschaut und mit den Schultern gezuckt. Ich fühlte mich ratlos.
Samstags hatte ich in Saint-Vincent frei. Ich hatte zu meinen ehemaligen Schülern Kontakt aufgenommen – »Henri-John Benjamin gibt seine neue Adresse bekannt: Gehen Sie über den Weg bis ans Ende des Gartens« –, aber samstags wollte ich niemanden sehen, ich wußte, daß ich ein wenig Ruhe brauchte.
Das war also mein erstes Wochenende nach Schulbeginn. In dem Augenblick, wo ich mein Büro betreten hatte, hatte ich Angst gehabt, daß es ein Fehler war, Olis Angebot auszuschlagen. Ich war nicht zum Lehrer geschaffen, und ich wußte es. Ich wußte nicht, wozu ich überhaupt geschaffen war. Es machte mir Spaß, Bücher zu lesen und mich um den Garten zu kümmern; Klavier zu spielen, wenn ich allein war; mit Oli zu fischen; Edith und meine Töchter zu beobachten. Es gefiel mir, wenn man mich in Ruhe ließ. Ich war gern von Zeit zu Zeit allein in der Stille. Ich wußte nicht, welche Art von Arbeit man mir unter diesen Umständen anbieten konnte. Dieser Gedanke hatte mich nicht losgelassen, als ich die Funktionstüchtigkeit meiner Schubladen und meines Bürostuhls überprüfte. Dann war ich losgegangen, um mich meinen Schülern zu stellen.
Die erste Woche war für mich, in puncto Arbeitsmoral, immer die anstrengendste. Ich hatte das Gefühl, mich in eine Kiste zu zwängen, die nicht für mich gemacht war, und alles in mir ächzte, und nachts wachte ich strampelnd auf und starrte die vier Wände an, die sich um mich zusammenzogen.
Ich stand früh auf, um diesen Tag der Ruhe zu genießen. Ich holte Croissants, legte sie vors Küchenfenster, und meine aß ich im Stehen, im lauen Licht der aufgehenden Sonne. Lächelnd sah ich mir an, was zu tun war, der Rasen, die Hecke, ein paar Zweige, die abgeschnitten werden mußten. Im Gegensatz zu den drei anderen schreckte ich vor dieser Arbeit nicht zurück. Und das nicht nur wegen der Optik, sondern wegen der schlichten Freude an den Dingen der Erde und der stillen Zwiesprache mit ihnen.
Evelyne kam als erste. Sie setzte sich aufs Fensterbrett und frühstückte in aller Schnelle, während ich meine Geräte schärfte. Sie las mir ein Gedicht von Raymond Carver vor, das an der Kühlschranktür klebte. Man mußte in Zürich die Tramlinie 5 nehmen, bis zur Endstation fahren und sich eine
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