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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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geschoben. Aber ihre Reserviertheit seit Ediths Aufbruch – Eléonores Bemühungen, mir ihre innige Liebe zu versichern, waren noch peinlicher als die Gleichgültigkeit ihrer älteren Schwester – schien mir das geringste Problem, und ich konnte sie verstehen.
    Evelyne schleppte uns in ein Tex-Mex-Restaurant, mit dem sie uns während der ganzen Fahrt in den Ohren lag, ohne sich nur einen Moment lang Gedanken zu machen, daß Oli gerade aus der Gegend kam, aber während ich einige Bedenken gegen diese kluge Wahl äußerte, behauptete dieser Schweinehund, er folge ihr mit geschlossenen Augen.
    Oli hatte die beiden stets um den kleinen Finger gewickelt. Schon als kleine Kinder hatten sie für ihren Onkel eine Art Vergötterung an den Tag gelegt, die auch im Laufe der Jahre nicht nachließ, und Oli bestärkte sie nach Kräften darin. Seine Qualitäten und sein persönlicher Charme hätten vollauf gereicht, meine Töchter zu faszinieren, doch darüber hinaus schrieb er ihnen aus allen Ecken und Enden der Welt, und ich sah, wie sie seufzten und bei der Lektüre seiner Eindrücke aus Leningrad, Rio oder Sydney – jeder dieser Briefe war mehrere Seiten lang –, am liebsten in das erstbeste Flugzeug gesprungen wären. Wenn er nicht in einem Flieger oder weiß der Teufel wo steckte, dann packte er gerade seine Koffer, so sahen sie es zumindest, und so kam es, daß Oli von einer geheimnisvollen Aura umgeben war und sie ihm um den Hals fielen, sobald er auftauchte.
    Und da waren noch die Geschenke. Diesmal hatte er extra ihretwegen sein Refugium im Château Marmont verlassen und einen Abstecher nach Arizona gemacht, um ihnen Katschinapuppen zu kaufen. Ich verzehrte schweigend meine Lammkoteletts, die mit einem Püree aus gewürzten Himbeeren bedeckt und von einer grünen Soße umringt waren, die wiederum von einem Wall aus grünen Bohnen eingedämmt wurde, als er zuerst seine Einkäufe hervorholte und dann, nachdem er in ihre Arme gesunken war, Luft schöpfte, um uns einen langen Vortrag über die Geschichte der Hopis zu halten. Ich liebte Oli heiß und innig. Es gab kaum eine wichtige Episode in meinem Leben, an der er nicht teilgenommen hatte. Wir hatten so gut wie alles gemeinsam entdeckt und gelernt. Selbst jetzt, wo sich Edith absentiert hatte, schlug er mir vor, mit ihm zu kommen, wie auch schon bei dieser Tournee nach Los Angeles, die gerade beendet war – nicht ohne beiläufig zu erwähnen, daß ich gut beraten sei, darauf einzugehen. Wir waren gern zusammen. Und trotz seiner häufigen Abwesenheit waren wir einander nie sehr fern.
     
    Für den Rest des Nachmittags und vermutlich auch für einen Teil des Abends entführte er sie mir. Ich war nicht mit von der Partie, denn sie begaben sich an einen Ort, an dem ich zur persona non grata erklärt worden war. Ich überlegte es mir, dann verzichtete ich darauf, sie mit einer Nachricht an Edith zu betrauen. Ich hatte ihr nichts sonderlich Gescheites zu sagen.
    Meine Klavierstunden lenkten mich bis ungefähr sechs Uhr abends ab. Dann erhielt ich einen Anruf von Robert Lafitte, ihrem Agenten. Ich saß in meinem Sessel, damit beschäftigt, den Himmel zu betrachten, der über den Bäumen vorüberzog. Er sagte zu mir: »Edith hat mich beauftragt, ihre Sachen zusammenzupacken. Kann ich vorbeikommen?«
    »Nein«, gab ich ihm zur Antwort, ich würde mich selbst darum kümmern. Er sagte: »Ich bestehe darauf!«
    Ich antwortete ihm, er sei auf dem besten Wege, sich ernsthafte Schwierigkeiten einzuhandeln.
    Ich öffnete die Tür ihres Arbeitszimmers. Ich setzte mich an ihren Schreibtisch, und ich beobachtete eine ganze Weile die Gegenstände, die darauf standen. Dann legte ich sie in einen Karton. Danach räumte ich die Regale aus. Ich packte ihre Lexika, ihre Bibel, ihren Grévisse ein, dazu einige Bücher, an denen sie hing. Das dauerte fast bis zum Anbruch der Dunkelheit, denn ich ließ gut und gern tausend Werke Revue passieren, nicht aus Angst, einige zu vergessen, die ihr fehlen könnten, sondern einfach, weil ich angefangen hatte, sie anzusehen, und mir von Zeit zu Zeit eins schnappte, es aufschlug und ein Stück daraus überflog, um die Erinnerungen aufzuspüren, die damit verbunden waren, Lebensabschnitte, Orte, so manches Gespräch, das wir darüber geführt hatten, ganze Nächte, die dem Schlaf entronnen waren usw. Ich setzte mich auf den Boden. Die unteren Regale waren mit Papieren vollgestopft, mit Akten, Kisten, in denen sich Manuskriptblätter, Fotos,

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