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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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Arm geglitten war, ereignete sich eine stumme Explosion in meinem Gehirn, und keinerlei Botschaft erreichte mich. Ich glaubte nach wie vor, wir würden über Chopin oder die phantastischen Fortschritte meiner linken Hand reden.
    Ich überließ sie ihr überdies, als sie sie berührte. Ich war ziemlich stolz auf meine linke Hand. Sie war geschmeidig, präzise und kräftig, wir hatten hart daran gearbeitet, und ich griff mehr als eine Oktave, was mir das Leben erleichterte, wenn ich mir Liszt vorknöpfte. Ich konnte verstehen, daß sie sie untersuchen wollte. Aber sie legte sie auf ihren Oberschenkel.
    Wir schrieben den 12. April 1958, und es war gegen ein Uhr morgens. Im ersten Moment wäre ich fast gestorben. Der simple Versuch, die Augen zu senken und nachzuschauen, ob ich mich nicht täuschte, schien mir über meine Kräfte zu gehen. Aber da war kein Irrtum möglich, und bei dem Bild, das sich mir bot, richteten sich sämtliche Härchen an meinen Armen und Beinen auf, eine verteufelte Gänsehaut, so überraschend kam das. Zum Glück ging das schnell vorüber. Sie war siebenunddreißig, ich fünfzehn. Das war ein dicker Brocken für mich, ich wollte mich nicht zu blöd anstellen und die ganze Sache verpatzen, das hätte mich sicher ganz krank gemacht. Also zögerte ich eine Sekunde lang vor dem Ausmaß des Ereignisses.
    Welche Haltung sollte ich eigentlich einnehmen? Ich wollte gern alles tun, was sie wollte, aber was? Wie sollte ich es nur erraten? Ich hatte das Gefühl, sie könne es sich jeden Moment anders überlegen, und diese Furcht, dieser gotterbärmliche Schiß lähmte mich. Ich mußte sie unbedingt daran hindern, nachzudenken, aber ich war selbst nicht dazu imstande. Oh, wie ich litt, wie sehr ich in Panik geriet, und wie sehr ich in diesem kurzen Augenblick mein Glück erspähte! Oh, diese Beklemmung, diese Freude, diese unbändige Lust zu bumsen, die aus jeder Faser meines Körpers hervorquoll! Dem Wahnsinn nahe, dachte ich: »Danke, Gott«, als ich die Wärme ihrer Hände in meinem Nacken spürte. Das war eine Art Liebkosung, für den Fall, daß ich jegliches Begriffsvermögen verloren hatte. Das war vor allem das Zeichen, auf das ich wartete, das Zeichen, daß ich loslegen konnte.
    Zunächst einmal an diesem Schenkel, den ich nicht kannte. Ich faßte ihn an, so als legte ich meine Finger auf das Maul einer Hirschkuh.
    »Ich träume …« murmelte ich, aufgewühlt vor Erregung und ob der Vorstellung, was ich alles noch zu entdecken hatte.
    Trug sie ein Höschen? Ich wagte nicht einmal daran zu denken. Kühner geworden, wechselte ich zu dem anderen Bein über. Sie waren immer noch geschlossen, aber immer mit der Ruhe, Henri-John, immer mit der Ruhe, sagte ich mir. Ihre Hand in meinen Haaren, hatte ich jemals dergleichen erlebt? Und wenn ich sie küßte? Ah, nein, nicht sofort! Nur nichts überstürzen, alter Freund!
    Nicht einen Moment lang machte ich mir irgendwelche Gedanken. Warum sie sich so plötzlich dazu entschlossen hatte und was in sie gefahren war, war mir ziemlich egal. Ich wußte nicht einmal mehr, wer sie war. Meine Empfindungen, alles, was sie für mich darstellte, war verschwunden. Die Lust überflutete mich, schnitt mich von der Welt ab. Wie sehr hatte ich diesen Moment herbeigesehnt! Ich hätte es mit einer alten, häßlichen Tante gemacht, wenn sie etwas von mir gewollt hätte.
    »Ah, ich träume …« knurrte ich, um tief in meiner Brust das Grölen eines Säufers zu unterdrücken, der erschüttert vor der Pracht des Sternenhimmels steht.
    Unversehens preßte ich sie in meine Arme, und wir kippten aufs Bett. Ein wahres Meisterstück, der Streich eines Künstlers. Als ich mein Werk einen Moment betrachtete, nutzte sie die Gelegenheit, um einen Seidenschal in die Luft zu werfen, was allen Applaus der Welt wert war. Er sank auf die Lampe, dämpfte das Licht auf so gut wie gar nichts, auf das Glimmen von ein paar Kohlen. Sie streichelte über meine Wange. Ich legte meine Hand auf ihren Bauch und befummelte ihr Unterkleid. Bis zu ihrem Mund war es noch verdammt weit, und das schüchterte mich am meisten ein. Das, und mit ihr reden, ich schaffte es nicht. Ihre Lippen waren mit all den Küssen bedeckt, die sie mir gegeben hatte, mit all den Spuren der Zuneigung, die sie mir seit frühester Kindheit bekundet hatte. Würde ich die Dreistigkeit besitzen, diese Lippen zu öffnen und meine Zunge hindurchzuschieben? Sie stützte sich auf den Ellbogen und verpaßte mir einen Zungenschlag, daß ich

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