Passagier nach Frankfurt
furchtbaren Studenten. Genau wie bei uns. Warum greifen sie die Botschaften an? Sie kämpfen, setzen sich gegen die Polizei zur Wehr – demonstrieren und skandieren idiotische Sprüche und legen sich auf die Straße. Si, si. Wir haben sie in Rom – in Mailand – wir haben sie überall in Europa, wie eine Pest. Warum sind sie niemals zufrieden, diese jungen Leute, was wollen Sie nur?»
Stafford nippte an seinem Cognac und lauschte dem schwerfälligen Tonfall von Mr. Charles Staggenham, der wieder einmal endlos dozierte. Die Aufregung hatte sich gelegt. Anscheinend hatte die Polizei ein paar Hitzköpfe abgeführt. Es war einer dieser Vorfälle, die man früher für außergewöhnlich gehalten hätte, heute aber als selbstverständlich hinnahm…
«Ein großes Polizeiaufgebot. Das brauchen wir. Es ist einfach zu viel für die Leute. Es soll überall dasselbe sein. Hier gibt es Unruhen, aber bei den Franzosen auch. In den skandinavischen Ländern sind sie nicht so häufig. Was wollen die alle bloß – einfach nur Aufruhr? Ich sage Ihnen, wenn es nach mir ginge – »
Stafford Nyes Gedanken schweiften ab. Er gab jedoch vor, Charles Staggenham hingebungsvoll zuzuhören, der gerade erklärte, was genau er tun würde – das hätte man ohnehin von ihm erwartet.
«Sie schreien wegen Vietnam und so was. Was wissen die denn überhaupt von Vietnam? Sie sind doch nie da gewesen, oder?»
«Das ist sehr wahrscheinlich», sagte Sir Stafford Nye.
«Jemand hat mir vorhin erzählt, dass es eine Menge Unruhen in Kalifornien gegeben hat. An den Universitäten – wenn wir eine vernünftige Strategie hätten…»
Dann gingen die Herren hinüber zu den Damen in den Salon. Stafford Nye bewegte sich mit einer Lässigkeit, die er immer sehr hilfreich fand, und setzte sich zu einer gesprächigen Dame mit goldenem Haar, die ihm nur flüchtig bekannt war. Man konnte sicher sein, dass sie kaum etwas Interessantes von sich gab, jedoch über die Menschen in ihrem Bekanntenkreis äußerst genau informiert war. Stafford Nye stellte keine direkten Fragen. Aber ohne dass die Dame auch nur im Entferntesten bemerkte, wie er den Gesprächsgegenstand ansteuerte, hörte er prompt einige Äußerungen über die Gräfin Renata Zerkowski.
«Sie sieht immer noch fantastisch aus, nicht wahr? Heutzutage kommt sie nicht mehr oft hierher. Sie ist meist in New York, wissen Sie, oder auf dieser wundervollen Insel. Nicht Minorca. Irgendeine andere im Mittelmeer. Ihre Schwester ist mit diesem Seifenkönig verheiratet, ich glaube, es ist ein Seifenkönig. Nicht der griechische. Er ist Schwede, glaube ich. Schwimmt nur so im Geld. Dann verbringt sie natürlich viel Zeit auf diesem Schloss in den Dolomiten – oder bei München –, sie war immer sehr musikalisch. Sie sagt, Sie seien sich früher schon einmal begegnet?»
«Ja, ich glaube, vor ein oder zwei Jahren.»
«Ach ja, ich nehme an, als sie das letzte Mal in England war. Es heißt, sie sei in diese Tschechoslowakei-Sache verwickelt gewesen. Oder waren es die polnischen Unruhen?
Oh je, es ist alles so kompliziert, nicht wahr? Ich meine, all diese Namen. Sie haben so viele Z und K. Sehr ungewöhnlich und so schwer zu buchstabieren. Sie ist literarisch sehr gebildet. Macht Unterschriftensammlungen, um Schriftstellern hier Asyl zu gewähren, irgend so etwas. Nicht dass das irgendjemanden interessieren würde. Alle sind doch heutzutage nur damit beschäftigt, wie sie ihre eigenen Steuern bezahlen sollen. Der Reisefreibetrag bringt schon etwas, aber nicht sehr viel. Ich meine, man muss das Geld doch erst einmal haben, um es dann ins Ausland bringen zu können. Ich weiß gar nicht, wie die Leute es überhaupt schaffen, heutzutage an Geld zu kommen, aber es ist reichlich im Umlauf. Sehr reichlich sogar.» Sie betrachtete selbstgefällig ihre Hand, an der zwei große Solitäre, ein Diamant und ein Smaragd prangten, der beste Beweis, das zumindest auf sie ein beachtlicher Geldbetrag verwendet worden war.
Der Abend neigte sich dem Ende zu. Er wusste nicht viel mehr als vorher über die Passagierin aus Frankfurt. Er kannte ihre Fassade, eine anscheinend sehr facettenreiche Fassade, um diese Alliteration zu verwenden. Sie interessierte sich für Musik. Nun, er hatte sie ja auch in der Festival Hall getroffen. Sie liebte Sport. Sie hatte reiche Verwandte, denen Inseln im Mittelmeer gehörten. Sie unterstützte literarische Wohltätigkeitsinstitutionen. Also war sie jemand mit guten Verbindungen und
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