Passagier nach Frankfurt
doch wirklich nicht völlig gebrechlich wirken oder bettlägerig. Es wäre leichter, wenn ich ein Mann wäre.» Sie dachte nach. «Ich meine, man könnte ein Bein mit einer enormen Bandage und diesen Polstern umwickeln, dann sähe es aus, als hätte man Gicht. Ich will damit sagen, Gicht ist in Ordnung für das männliche Geschlecht. Keiner nimmt einem das übel. Einige denken dann, da habe jemand wohl etwas zu tief in sein Portweinglas geblickt. Das dachte man früher, obwohl ich nicht glaube, dass das wirklich stimmt. Von Portwein bekommt man keine Gicht. Ja, ein Rollstuhl, und ich könnte nach München fliegen oder irgendwohin da in der Nähe. Man könnte dort einen Wagen bestellen.»
«Sie nehmen Miss Letheran natürlich mit.»
«Amy? Selbstverständlich. Ohne sie kann ich gar nichts unternehmen. Sie denken also nicht, dass es mir schaden würde?»
«Ich denke, es wird Ihnen sogar guttun.»
«Sie sind wirklich ein netter Mensch.»
Lady Matilda bedachte ihn mit einem Augenzwinkern, an das er sich nun schon langsam gewöhnt hatte.
«Sie denken, es wird mir gefallen und mich ein wenig aufheitern, wenn ich an einen neuen Ort reise und neue Gesichter sehe. Und Sie haben natürlich völlig recht. Aber ich möchte mir einbilden, ich fahre zur Kur, auch wenn ich nichts zu kurieren habe. Nicht wirklich, oder? Außer meinem Alter. Leider kann man das Alter nicht kurieren, es wird nur schlimmer, nicht wahr?»
«Wichtig ist doch nur, dass es Ihnen Spaß macht. Und das glaube ich schon. Übrigens, wenn Sie etwas zu sehr anstrengt, dann lassen Sie es sein.»
«Auch wenn das Wasser nach faulen Eiern schmeckt, ich werde es trinken. Nicht, weil ich es mag oder weil ich glaube, dass es mir guttut. Aber es gibt einem so ein Gefühl von Kasteiung. So wie bei den alten Frauen in unserem Dorf. Sie wollten immer eine gute, starke Medizin. Schwarz, lila oder dunkelrosa, mit starkem Pfefferminzgeschmack. Sie glaubten, das wirke viel besser als eine nette kleine Pille oder eine Flasche, die nur wie ordinäres Wasser aussieht, ohne jede exotische Färbung.»
«Sie wissen zu viel vom Wesen der Menschen», sagte Dr. Donaldson.
«Sie sind sehr nett zu mir», erwiderte Lady Matilda, «ich weiß das zu schätzen. Amy!»
«Ja, Lady Matilda?»
«Hol mir einen Atlas, sei so gut. Ich habe Bayern und die Länder, die darum herum liegen, aus dem Gedächtnis verloren.»
«Also, ein Atlas. Ich glaube, es ist einer in der Bibliothek. Dort müssen ein paar alte Atlanten herumliegen, etwa aus den Zwanzigerjahren.»
«Haben wir nicht einen etwas jüngeren Datums?»
«Ein Atlas?», überlegte Amy scharf.
«Wenn nicht, dann kauf einen und bring ihn morgen früh mit. Es wird sehr schwierig sein, weil sich alle Namen geändert haben. Es sind heute andere Länder, und ich werde nicht wissen, wo ich gerade bin. Aber du musst mir dabei helfen. Bring eine starke Lupe mit, ja. Ich erinnere mich, dass ich neulich eine zum Lesen im Bett hatte, sie ist vielleicht zwischen Bett und Wand gefallen.»
Es dauerte eine Weile, bis ihre Anforderungen erfüllt wurden, aber am Ende wurden die Lupe und ein älterer Atlas zum Vergleichen herbeigeschafft. Die gute Amy, dachte Lady Matilda, war wieder einmal äußerst hilfreich.
«Ja, hier ist es. Es heißt offenbar immer noch Monbrügge oder so. Es ist entweder in Tirol oder in Bayern. Alles scheint den Ort gewechselt zu haben oder hat nun andere Namen…»
II
Lady Matilda sah sich in ihrem Schlafzimmer im Gasthaus um. Es war gut ausgestattet, schließlich war es sehr teuer. Es verband Komfort mit einem Anstrich von Kargheit, der den Gast vielleicht dazu bewegen sollte, sich mit einer Reihe von asketischen Übungen, Diäten und eventuell schmerzhaften Massagekursen anzufreunden. Die Einrichtung was interessant, dachte sie. Sie genügte allen Ansprüchen. Ein großer gerahmter Aushang in gotischer Schrift prangte an der Wand. Lady Matildas Deutsch war nicht mehr so gut wie in ihren Mädchentagen, aber die Schrift befasste sich mit der goldenen und begeisternden Idee der Wiederkehr zur Jugend. Danach hielt nicht nur die Jugend die Zukunft in ihren Händen, sondern auch die Alten wurden auf ansprechende Weise in dem Gefühl bestärkt, dass auch sie eine zweite goldene Blüte erleben könnten.
Da standen behutsame Hinweise, wie man dieser Lehre auf einem der vielen Lebenswege, die verschiedene Arten von Menschen anzogen, folgen könne (immer unter der Annahme, sie hätten auch genug Geld, um es zu
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