Passagier nach Frankfurt
gehobener, erstklassiger Herkunft aufgesogen. Die Frau selbst konnte keinerlei Anspruch auf eine erstklassige Herkunft erheben, das war Lady Matilda wohlbekannt. Sie musste sich mit Geld begnügen. Ströme von Geld, unglaubliche Mengen. Lady Matilda Cleckheaton bezweifelte nicht, dass sie selbst, als Tochter eines achten Herzogs, zu irgendeiner Gelegenheit geladen werden würde. Vielleicht zu Kaffee und wunderbarer Cremetorte.
III
Lady Matilda betrat einen der großen Empfangsräume im Schloss. Es lag etwa 20 Kilometer entfernt. Sie hatte sich mit Sorgfalt angekleidet, allerdings etwas zum Missfallen von Amy. Die gute Amy gab selten einen Rat, aber sie war so bestrebt, dass ihre Herrin überall gut ankam, dass sie sich diesmal entschlossen hatte, einen leichten Einwand zu erheben. «Glauben Sie nicht, dass Ihr rotes Kleid etwas zu abgetragen ist, wenn Sie verstehen, was ich meine? Ich meine, direkt unter der Achsel, und, nun, da sind ein oder zwei sehr glänzende Stellen –»
«Ich weiß, meine Liebe, ich weiß. Es ist ein sehr schäbiges Kleid, aber immer noch ein Patou-Modell. Es ist alt, aber es war seinerzeit sehr teuer. Ich möchte nicht reich oder extravagant erscheinen. Ich bin das verarmte Mitglied einer aristokratischen Familie. Jeder unter 50, das ist mir bewusst, würde auf mich herabsehen. Aber meine Gastgeberin hat seit längerer Zeit in einem Teil der Welt gelebt, wo die Neureichen gewillt sind, auf ihre Einladung zu warten, während die Gastgeberin selber bereit ist, auf eine schäbige alte Frau untadeliger Herkunft zu warten. Familientraditionen gibt man nicht so leicht auf. Man hält daran fest, auch wenn man in eine andere Gegend zieht. Übrigens, in meinem Koffer findest du eine Federboa.»
«Werden Sie eine Federboa tragen?»
«Ja, eine aus Straußenfedern.»
«Oh je, die muss aber schon sehr alt sein.»
«Das ist sie, aber ich habe sie sorgfältig gepflegt. Du wirst sehen, Charlotte wird es als das erkennen, was es ist. Sie wird denken, dass eine Angehörige einer der besten Familien Englands gezwungen ist, ihre alten Kleider aufzutragen, die sie jahrelang sorgfältig aufgehoben hat. Ich werde auch meinen Sealmantel tragen. Der ist auch ein wenig abgeschabt, war aber seinerzeit ein herrliches Stück.»
So gekleidet, machte sie sich auf den Weg. Amy begleitete sie als wohlgekleidete und zurückhaltend elegante Betreuerin.
Matilda Cleckheaton war vorbereitet auf das, was sie erwartete. Ein Wal, wie Stafford ihr berichtet hatte, ein sich wälzender Wal, eine abscheuliche alte Frau saß in einem Raum, umgeben von Gemälden von unschätzbarem Wert. Sie erhob sich mit Mühe von einem thronartigen Sessel, wie für die Bühne eines großen Fürstenpalastes aus jeder beliebigen Epoche vom Mittelalter an.
«Matilda!»
«Charlotte!»
«Ach! Nach all den Jahren. Wie seltsam das ist!»
Sie tauschten Worte der Begrüßung und Freude aus, sprachen halb deutsch, halb englisch. Lady Matildas Deutsch war etwas fehlerhaft. Charlotte sprach ausgezeichnet deutsch, auch ausgezeichnet englisch, aber mit einem stark gutturalen, manchmal auch amerikanischen Akzent. Sie war wirklich von herausragender Hässlichkeit, dachte Lady Matilda. Einen Augenblick lang verspürte sie fast eine Zuneigung, die aus der Vergangenheit kam. Obwohl – überlegte sie im nächsten Augenblick, Charlotte war ein furchtbar unleidliches Mädchen gewesen. Niemand hatte sie wirklich gemocht, und sie selbst hatte sie auch nicht leiden können. Aber es gab kein stärkeres Band als Erinnerungen an die vergangene Schulzeit. Da konnte man sagen, was man wollte. Ob Charlotte sie gemocht hatte, das wusste sie nicht. Aber sie erinnerte sich, Charlotte hatte sich – wie man damals sagte – bei ihr angebiedert. Sie hatte vielleicht die Vorstellung, auf ein Herzogschloss in England eingeladen zu werden. Lady Matildas Vater, obwohl untadeliger Abstammung, war einer der englischen Herzöge gewesen, die sich in größter Geldnot befanden. Seine Liegenschaften waren nur durch die reiche Frau zusammengehalten worden, die er geheiratet hatte. Er hatte sie stets mit größter Ritterlichkeit behandelt, doch sie hatte es genossen, ihn zu tyrannisieren, wann immer sie konnte. Lady Matilda hatte das Glück, seine Tochter aus zweiter Ehe zu sein. Ihre eigene Mutter war äußerst liebenswürdig und zudem eine sehr erfolgreiche Schauspielerin, die es viel besser verstand, wie eine Herzogin aufzutreten, als die echten Herzoginnen.
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