Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Passagier nach Frankfurt

Passagier nach Frankfurt

Titel: Passagier nach Frankfurt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
bezahlen). Neben dem Bett lag eine Gideon-Bibel, wie sie Lady Matilda immer neben ihrem Bett vorgefunden hatte, wenn sie in die Vereinigten Staaten gereist war. Sie schlug sie auf einer beliebigen Seite auf und legte den Finger auf einen bestimmten Vers. Sie las ihn, nickte zufrieden mit dem Kopf und machte sich eine kurze Notiz auf einem Block, der auf dem Nachttisch lag. Sie hatte das schon oft im Laufe ihres Leben getan – es war ihre Art, sich schnell einer göttlichen Führung zu versichern.
     
    Ich war jung und bin alt geworden, doch nie sah ich einen Gerec h ten verlassen.
     
    Sie stellte weitere Erkundungen im Zimmer an. Gleich zur Hand, aber nicht allzu auffällig, lag ein Gotha-Almanach bereit, bescheiden auf einem unteren Regal des Nachttischs. Dies war ein unentbehrliches Handbuch für alle, die sich mit den oberen Kreisen der feinen Gesellschaft vertraut machen wollten. Es reichte Jahrhunderte zurück und wurde immer noch beachtet und geprüft von denen, die aristokratischer Herkunft waren oder sich dafür interessierten. Das passt gut, dachte sie, da kann ich mich ein wenig einlesen.
    Neben dem Schreibtisch, an dem antiken Porzellanofen, standen Bücher mit Schriften und Grundsätzen der neuen Weltpropheten, die sich gerade oder vor nicht allzu langer Zeit als Rufer in der Wüste hervorgetan hatten. Sie standen bereit, um von jungen Anhängern mit langen Haaren, fremdartiger Kleidung und aufrechtem Herzen studiert und akzeptiert zu werden. Marcuse, Guevara, Lévi-Strauss, Fanon.
    Für ein eventuelles Gespräch mit einem von der Goldenen Jugend war es wohl besser, sich auch hier etwas einzulesen.
    In diesem Augenblick ertönte ein zaghaftes Klopfen an der Tür. Sie öffnete sich leicht und das Gesicht der treuen Amy sah hinein. Amy, dachte Lady Matilda plötzlich, würde in zehn Jahren aussehen wie ein Schaf. Ein nettes, getreues, freundliches Schaf. Im Augenblick, dachte Lady Matilda erfreut, sah sie noch wie ein sehr nettes, rundliches Lämmchen aus, mit hübschen Locken, nachdenklichen, freundlichen Augen und der Fähigkeit, freundlich «baa, baa» zu sagen statt zu blöken.
    «Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.»
    «Ja. Meine Liebe, das habe ich. Sehr gut sogar. Hast du das Ding?»
    Amy wusste immer, was sie meinte. Sie reichte es ihrer Arbeitgeberin.
    «Ah, mein Diätplan. So.» Lady Matilda überflog ihn und sagte dann: «Unglaublich scheußlich! Was ist das für ein Wasser, das man da trinken soll?»
    «Es schmeckt nicht gerade gut.»
    «Nein, das glaube ich. Komm in einer halben Stunde wieder. Ich habe einen Brief für die Post.»
    Sie schob ihr Frühstückstablett zur Seite und ging zum Schreibtisch hinüber. Sie dachte einen Augenblick nach und schrieb dann ihren Brief. «Das sollte das Richtige sein», murmelte sie.
    «Entschuldigen Sie, Lady Matilda, haben Sie gerade etwas gesagt?»
    «Ich habe an die alte Freundin geschrieben, von der ich dir neulich erzählt habe.»
    «Die Freundin, die Sie seit fünfzig oder sechzig Jahre nicht mehr gesehen haben?»
    Lady Matilda nickte.
    «Ich hoffe sehr –», sagte Amy entschuldigend. «Ich meine – ich – es ist schon so lange her. Ich hoffe sehr, dass sie sich an Sie und alles Weitere noch erinnern kann.»
    «Aber bestimmt», sagte Lady Matilda. «Die Menschen, die man nie vergisst, sind die, die man im Alter von etwa zehn bis zwanzig Jahren gekannt hat. Die bleiben einem immer im Gedächtnis. Man erinnert sich an ihre Hüte und wie sie lachten, an ihre Fehler und ihre guten Eigenschaften, an alles über sie. Leute, die ich vor vielleicht zwanzig Jahren getroffen habe, an die kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Nicht, wenn sie erwähnt werden, nicht einmal, wenn ich sie vor mir sehe. Oh ja, sie wird sich an mich erinnern. Und an Lausanne. Bring bitte den Brief zur Post. Ich muss noch meine Hausaufgaben machen.» Sie nahm den Gotha und legte sich wieder ins Bett, wo sie eingehend die Dinge studierte, die ihr von Nutzen sein würden. Familienbeziehungen und andere Verwandtschaftsbeziehungen, die vorteilhaft waren. Wer wen geheiratet hatte, wer wo gewohnt hatte, welche Unglücksfälle anderen zugestoßen waren. Nicht dass die Frau, die sie im Sinn hatte, selbst im Gotha zu finden gewesen wäre. Aber sie lebte hier in diesem Teil der Welt, hatte sich mit Absicht hier niedergelassen, um auf einem Schloss zu wohnen, das ursprünglich alten Adelsgeschlechtern gehört hatte. Sie hatte den örtlichen Respekt und die Verehrung vor allem von Leuten

Weitere Kostenlose Bücher