Passwort in dein Leben
rauswerfe.
Dann gebe ich »Facebook« ein. Keine Chance, mich einzuloggen, aber ich kann meine Seite zumindest anschauen.
Ich lächle mir auf dem Foto entgegen. Julia hat es erst vor ein paar Wochen aufgenommen. Und obwohl ich mich natürlich seitdem nicht viel verändert haben kann, bin ich mir doch fremd.
Darunter ein Bild von Clara.
Beziehungsweise ein YouTube-Film.
Clara in einem Buchladen.
Ich klicke ihn an.
Der Film ist ein wenig verwackelt. Aber ich kann doch alles klar erkennen. Clara läuft zwischen den Regalen entlang, sieht sich hektisch um und greift dann nach einem Buch. ›Flirten für Anfänger‹. Sie steckt es schnell in ihren Korb, schiebt es unter ein Bilderbuch. Dann sucht sie die Reihen weiter ab. ›So verlieben Sie sich richtig‹, ›Füreinander bestimmt‹, ›Den Traumpartner finden‹. Den letzten Titel nimmt sie heraus. Er fällt auf den Boden. Hektisch bückt sie sich und schiebt ihn genau wie den anderen unter das Bilderbuch. Während Clara verschwindet, hört man Lachen, das klingt, als wäre es aus einer amerikanischen Komödie herausgeschnitten.
Scheiße. Wenn Clara das sieht. Ich wünschte, sie würde mir glauben, muss mir einfach glauben …
Das Geräusch eines näher kommenden Autos. Ich zucke zusammen, logge mich schnell aus, will schon den Computer herunterfahren, da fällt mir was ein. Schnell gehe ich auf »Verlauf« und lösche meine Spuren. Meine Eltern glauben mir garantiert nicht mehr, wenn sie merken, dass ich im Internet war.
Schon höre ich einen Schlüssel im Schloss, stehe auf, gehe aus dem Zimmer und sehe mir selbst dabei zu, wie in einem Film.
Ich schaffe es gerade noch, mir in der Küche ein Glas Saft einzugießen, da höre ich schon die Stimme meiner Mutter.
»Sofie?«
»Hier.« Meine Stimme klingt krächzig und ist viel zu leise. Deshalb gehe ich ihr einfach entgegen.
Ich bin eine Gefangene im Wohnzimmer meiner Eltern. Wir sitzen uns auf dem Sofa gegenüber und mir ist kalt, ich habe keine Gefühle mehr. Gleich morgen Vormittag soll ich von einem Jugendpsychotherapeuten untersucht werden. Sie reden von einer psychiatrischen Einrichtung, in die ich eventuell geschickt werden soll.
»Ich will nicht«, sage ich und klammere mich am Sofa fest wie eine trotzige Dreijährige.
»Unglaublich«, sagt meine Mutter. »Wir wollen dir doch nur helfen, dir eine normale Zukunft ermöglichen.«
Hilfe suchend schaue ich meinen Vater an.
Er sagt gar nichts, klopft nur mit den Fingern auf seinem Bein herum.
»Papa?« Meine Stimme klingt kläglich. Ich bin mir selbst peinlich.
»Du wirst nur untersucht«, sagt er schließlich leise. »Wenn der Therapeut morgen feststellt, dass bei dir wirklich alles in Ordnung ist, dann war es das.Und davon gehe ich mal aus!« Er wirft meiner Mutter einen scharfen Blick zu.
Sie breitete die Arme aus. »So was kann ja eine einmalige Sache sein, eine Stressreaktion oder so was.«
Ich sitze jetzt eingeklemmt zwischen den beiden und muss einen Fernsehkrimi anschauen. Dabei kann ich die nicht ausstehen. Ich fühle mich taub, so als hätte irgendwas in mir abgeschaltet, als wären keine Gefühle mehr vorhanden. Am Ende darf ich dann auch noch zwischen den beiden im Ehebett schlafen. Oder meine Mutter legt sich mit einer Matratze in mein Zimmer vor die Tür …
Schließlich campiert sie auf der Couch im Wohnzimmer, um meine nächtlichen Aktivitäten zu überwachen. Das gab's noch nie. Ich komme mir vor, als wäre ich bereits eingesperrt. Also, wenn sie so was mit einem machen und man ist noch nicht verrückt, dann wird man es spätestens dann. Filme wie ›Einer flog übers Kuckucksnest‹ fallen mir ein. Mein Vater liebt diesen Film. Er kann so was doch nicht ernsthaft für mich wollen! Aber als ich ihn danach gefragt habe, meinte er nur, ich solle mich nicht so anstellen und heute würde es doch längst nicht mehr so zugehen. Beinahe hätte ich von Marion erzählt, die nicht mehr existiert, von Marion, die eine total Fremdegeworden ist. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob das, was sie heute so von sich gegeben hat, nicht vielleicht verrückter ist, als wenn ich wirklich diese Dinge gepostet hätte. Okay, damit schadet sie niemand. Aber wie es aussieht, habe ich ja auch mir selbst am meisten geschadet. Beziehungsweise hätte ich, wenn ich's denn gewesen wäre. Vermutlich funktioniert Folter immer so. Sie glauben dir so lange nicht, bis du anfängst, an dir selbst zu zweifeln.
Ich lege mich auf mein Bett, bin hellwach. Plötzlich
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