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Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Stehle
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ein Knistern wie von Papier. Automatisch greife ich unter mein Kopfkissen. Dort liegt ein gefalteter Bogen. Hellblaues, altmodisches Briefpapier. Meine Hände zittern, als ich ihn auseinanderfalte. Vielleicht ist er von meinem Vater, vielleicht eine geheime Idee, wie ich doch noch aus dem ganzen Schlamassel rauskomme.
    Doch dann steht dort in großen Druckbuchstaben:
    LIEBSTE, ICH SEHE DICH, BIN IMMER BEI DIR. DEIN MARIO.
    Mir wird eiskalt. Ich schleudere den Bogen von mir, quer durchs Zimmer. Er bleibt neben meinem Kleiderschrank liegen, scheint zu mir herüberzustarren. Wie kommt Mario – wer auch immer er ist – in mein Zimmer?
    Ich krieche mit dem Kopf unter die Decke.
    Es hilft nicht.
    Die Botschaft ist immer noch da.
    Er war in meinem Zimmer. Irgendwer war in meinem Zimmer.
    Mein Herz schlägt laut in meinen Ohren, schnell wie Techno.
    Wenigstens lebe ich noch.
    Ich mache die Augen fest zu, zähle bis hundert. Vielleicht ist dann alles gut. Natürlich weiß ich, dass das nicht stimmt, nicht sein kann.
    Deshalb höre ich bei 48 schon auf.
    Der Zettel liegt da.
    Dicht neben dem Schein der Straßenlaterne.
    Aber doch deutlich sichtbar.
    Ich stehe auf, schnappe ihn mir.
    Meine Finger fangen an, zu reißen.
    Lauter kleine hellblaue Schnipsel fallen zu Boden, umrieseln mich wie Schnee.
    Als ich fertig bin, hebe ich sie wieder auf, reiße sie noch mal entzwei. Kleiner und immer kleiner. Trotzdem reicht das nicht.
    Ich packe die Schnipsel in meine Faust, gehe zum Bad, lasse sie in die Kloschüssel rieseln.
    Dann spüle ich.
    Ein Teil geht nicht hinunter, bleibt einfach so kleben.
    Ich werfe Klopapier drauf und versuche es noch mal.
    Alle, bis auf einen Schnipsel, verschwinden in einem Strudel.
    Ich helfe mit der Klobürste nach.
    Und wasche dann meine Hände, schrubbe sie richtig mit dem kleinen Bürstchen und ganz viel Seife.
    Sie sind rot.
    Egal.
    Auf dem Flur laufe ich beinahe in meine Mutter hinein.
    »Ist dir schlecht?«, fragt sie und legt mir die Hand auf die Stirn.
    »Ja«, murmle ich und bin mit einem Mal froh, dass sie da ist. Dass ich nicht allein bin und irgendwer kommen und weitere Botschaften in mein Bett legen kann.
    Am liebsten würde ich sie fragen, ob sie nicht doch in meinem Zimmer übernachten kann. Aber das wäre dann doch zu kindisch …
    Als ich im Bett liege, wünsche ich mir, ich würde Schlafmittel nehmen wie meine Großmutter, dann könnte ich zumindest schlafen. Dann käme die Leere in meinem Kopf wenigstens von diesem tiefen, traumlosen Schlaf, von dem meine Oma mir erzählt hat, dann wäre die Angst vielleicht eine Weile lang weg – und alles andere auch.
    Am nächsten Morgen ist meine Mutter extrafreundlich, füttert mich mit frisch gepresstem O-Saft und einem Ei, das ich nicht schaffe. Ich habe das Gefühl, kein bisschen geschlafen zu haben.
    Mein Vater wuschelt mir durchs Haar, als er zur Arbeit geht, murmelt: »Kopf hoch, alles wird sich aufklären.«
    Ich wäre gerne ein wenig mehr wie er. So positiv.
    Der Psychotherapeut ist eine Frau.
    Im Vorzimmer hängen ein Spiegel und eine Garderobe an der Wand, die fröhlich gelb gestrichen ist. Alles, auch die beiden Stühle, auf die meine Mutter und ich uns setzen, scheint von Ikea zu sein. Wir sind ein paar Minuten zu früh und noch hat uns kein Mensch begrüßt, nur der Türsummer. Meine Mutter hat zu viel Parfüm verwendet. Es kitzelt mich in der Nase. Sie scheint auch nervös zu sein, zupft an den Fransen ihres Schals herum.
    Das Haar der Psychotherapeutin ist streng zurückgebunden. Sie lächelt mich mit dünnen Lippen an. Ob ihre Augen mitlachen, kann ich nicht sehen, weil die Plastikbrille spiegelt.
    »Guten Tag, ich bin Frau Lindner«, sagt sie und streckt mir die Hand hin. Die ihre ist trocken und ziemlich knochig. »Du bist sicher Sofie?«
    Ich nicke.
    Dann begrüßt sie meine Mutter und sagt ihr, dass sie mit mir allein sprechen muss. Meine Mutter könne so lange ins Café gehen. Nach einer Stunde hätte sie dann noch Zeit für sie.
    Meiner Mutter ist das sichtlich nicht recht, aber sie fügt sich.
    Hinter der Therapeutin her tapse ich in ein Zimmer mit grobmaschigem Teppichboden, der aussieht wie aus Paketschnüren gewebt.
    Sie lässt mich vor. Das Zimmer sieht aus wie eine Arztpraxis, wo jemand versucht hat, sie mit Zen-Zeugs zu einem Wohnraum werden zu lassen. In einer Ecke plätschert ein Zimmerbrunnen, der mir sofort das Gefühl gibt, aufs Klo zu müssen. Und an der Wand hängt ein Bild von Bambusstöcken, das es, wenn ich

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