Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Stehle
Vom Netzwerk:
ich.
    »Davor war ich verloren in Wirrnis«, erklärt sie.
    »Ich kann mich erinnern, dass du mir immer Geschichten erzählt hast. Erinnerst du dich noch an die Sache mit den Kinderballons?«, frage ich.
    Stille.
    Ich sehe zu ihr hinüber. Sie schüttelt den Kopf.
    »Warst du nicht bei einem Theater?«, frage ich weiter.
    Ihre Beine fangen an, unruhig zu werden. Sie zerquetscht Hühnerkacke mit ihren Schuhen. »Wie ihr nun den Herrn Jesus Christus angenommen habt, so lebt auch in ihm und seid in ihm verwurzelt und gegründet und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid, und seid reichlich dankbar, sagt die Bibel«, erklärt Marion. »Das hier ist mein neues Leben und es geht mir gut.«
    Ich denke an die Tante, an die ich mich erinnern kann, die fröhlich-aufgedrehte, die Witze erzählt und Dinge aus ihrem Alltag vorgespielt hat. Sie ist verschwunden. Es ist, als würde es sie nicht mehr geben.
    Plötzlich weiß ich nicht mehr, warum ich hier bin, was ich hier gesucht habe. Trotzdem werde ich es versuchen. Einfach, damit dieser Tag nicht umsonst war und all der Ärger, den er bringen wird.
    »Mir sind in letzter Zeit einige komische Dingepassiert«, sage ich. »Es könnte sein, dass ich etwas getan habe, an das ich mich gar nicht erinnern kann. Also heimlich Filme gedreht und so was.«
    Keine Reaktion von ihr. Sie schaut einfach geradeaus, vielleicht auf das Dorf, in dem sich die Nebelschwaden aufgelöst haben.
    »Ich wollte dich fragen, ob es bei dir ähnlich war, also, bevor du krank wurdest?«
    »Ich war sehr lange krank«, antwortet sie. »Seit meiner Kindheit. Ich war unglücklich, allein und auf der Suche, habe Gott nicht erkannt.«
    Ich schlucke, hoffe, dass sie mir nicht noch eine Religionsstunde gibt.
    »Und kurz davor? In Thailand?«
    Ihre Füße fangen wieder an zu zappeln, zerdrücken Erde.
    »Ich kann mich gut erinnern«, sagt sie und zum ersten Mal ist das Monotone aus ihrer Stimme ein wenig verschwunden. »Ich wurde verfolgt. Von bösen Männern und Dämonen.«
    Auf einmal tut sie mir leid. Sie, die entfernt an meine Tante erinnert und doch eine andere ist. Aber ich bin mir nun ganz sicher, dass ich nicht bin wie sie. Dass ich nicht verrückt bin und etwas anderes dahintersteckt. Jemand anderer dahintersteckt.
    »Das tut mir leid«, sage ich und berühre sie leicht am Arm.
    Sie drückt ihren Arm gegen meinen.
    »Marion?«, sage ich dann sanft. »Musst du wieder zurück?«
    Sie nickt.
    Ich lasse sie los, aber sie fasst nach meiner Hand.
    Hand in Hand gehen wir zurück. Ihre fühlt sich an wie die Kralle eines Vogels. Zumindest stelle ich mir das so vor, weil ich noch nie eine Vogelkralle berührt habe.
    »Mach's gut, Marion«, sage ich an der Tür und drücke die Hand. Aber nur ganz sanft, weil ich Angst habe, sie könnte abbrechen. »Und alles Gute.«
    Sie lässt meine Hand los und legt mir ihre kurz auf den Kopf. »Gott schütze dich«, sagt sie dann.
    Ich sehe ihr nach, wie sie hinter der Tür verschwindet.
    Katja steht ganz in der Nähe, füttert die Hühner mit irgendwelchen Körnern. Sie umringen sie gackernd.
    Ein Schaf blökt und eine dicke Wolke schiebt sich vor die Sonne.
    Ich gehe den Feldweg zurück. Meine Füße setzen sich voreinander, ganz automatisch, ich denke nicht mehr, bin nur noch. Schritt vor Schritt. In mir ist Stille. Stille, weil ich sie endgültig verloren habe, weil die Tante, an die ich mich erinnere, nicht mehr existiert, genauso, als wäre sie tot. Und irgendwie ist sie das ja auch. Die Stille bleibt da, als ich in den Bus zurück nach Lindau einsteige, mischt sich mitdem Brummen des Motors. Die Fensterscheibe kühlt meine viel zu heiße Stirn.
    Aber ich bin doch noch immer ich, bin nicht wie meine Tante in einem Paralleluniversum.
    In Lindau hat es auch aufgehört, zu regnen. Aber die Straßen sind alle noch nass.
    Was meine Eltern wohl inzwischen gemacht haben? Vielleicht haben sie Clara angerufen. Oder sogar die Polizei. Hoffentlich nicht. Außer, man würde mir dort vielleicht glauben.
    Auf der Insel sehe ich eine Gestalt, die mir vertraut ist. Marco. Etwas in mir beginnt zu hüpfen. Ich winke ihm zu. Er bleibt stehen, sieht zu mir hin. Und dann durch mich durch.
    Das kann doch nicht sein.
    »Marco!«, rufe ich.
    Er reagiert nicht. Vielleicht hört er mich ja nicht.
    »Marco!«, schreie ich und stolpere auf ihn zu.
    Ein paar vorwurfsvolle Blicke von Menschen, die viel weiter weg sind als er.
    Nur noch ein paar Schritte.
    Er steht wie erstarrt und scheint mich doch

Weitere Kostenlose Bücher