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Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Stehle
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im Bad warf.
    »Ich war noch klein«, murmle ich.
    »Aber du hast es gespürt, damals auf der Treppe. Dieses ganz Besondere zwischen uns.«
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Dass er mir Angst gemacht hat?
    »Und dann hast du mich fallen lassen. Ich habe die ganzen Jahre über gewartet. Nur auf dich gewartet.«
    »Aber du hast nie was gesagt, wenn du hier zu Besuch warst …«
    »Du hast mich nie gehört, warst abgelenkt durch meine dumme Schwester!« Hass in seiner Stimme. »Ich habe dich immer entschuldigt, in Schutz genommen. Sie ist zu unreif, kann die Liebe noch nicht erkennen, habe ich mir gesagt. Und du trittst all das mit Füßen! Wirfst dich an den nächstbesten Typen ran und lässt dich von ihm befummeln. Dabei warst du für mich bestimmt. Immer.«
    Ich verstehe überhaupt nicht, was er will. Für mich klingt das total durchgeknallt! Vielleicht verwechselt er irgendwas?
    »Niemand hat mich je so verletzt wie du. Ich habe gar nicht geahnt, wie gestört du bist, dass du gar nicht lieben kannst! Du hast mich zerbrochen und ich weiß nicht, wie ich jetzt weiterleben kann …«
    Mit diesen Worten dreht er sich um und geht.
    Die Kerze flackert, als er die Tür hinter sich zuwirft. Aber zum Glück bleibt sie an.
    Ich gehe darauf zu, halte meine Hände darüber, als könnte mich das wärmen.
    Das ist doch wirklich verrückt. Warum sperrt er mich ein und beschimpft mich, wenn er behauptet, mich zu lieben?
    Ich habe ihn verletzt, weil ich ihn nicht liebe? Ist Liebe nicht etwas, was man freiwillig verschenkt? Nichts, auf das man ein Anrecht hat? Er spinnt. Total.
    Mir ist so eiskalt.
    Ich setze mich auf die Matratze und schlinge die Decke um mich. Sie wärmt nur ein kleines bisschen. Vermutlich sollte ich die nassen Hosen ausziehen. Aber ich will sie unbedingt anhaben, wenn er wiederkommt. Falls er wiederkommt.
    Am liebsten würde ich weinen.
    Aber meine Augen fühlen sich total trocken an und jucken.
    Ich lege den Kopf auf die Beine und starre in die Kerzenflamme.
    Vielleicht lassen meine Eltern mich suchen. Hoffentlich lassen sie mich suchen. Alles ist besser als das hier. Sogar Therapeutinnen mit Zimmerbrunnen, die einen zum Pinkeln anregen. Und eigentlich müsste ich genau das. Aber in einen Eimer? Nein danke.Ich trinke lieber kein Wasser. Der Drang, pinkeln zu müssen, wird immer stärker.
    Und die Semmel ist hart und mein Magen fühlt sich komischerweise ganz voll an. Das Rascheln in der Ecke hat wieder angefangen. Das Licht der Kerze reicht nicht so weit, nicht einmal, wenn ich sie hochhebe.
    Ich verstehe nicht, was Ralf wirklich von mir will. Ob er mich gehen lässt, wenn ich mich ausführlich entschuldige?
    Mein Kopf summt. Ein Pfeifen in meinem rechten Ohr. Vielleicht bekomme ich Tinnitus wie unsere Nachbarin. Ich drücke auf das Ohr. Das Geräusch bleibt.
    Und plötzlich kann ich doch weinen.
    Einfach so.
    Es schmeckt salzig.
    Ich streiche die Tränen weg und mir dann über das Gesicht. Vielleicht bin ich wirklich verrückt.
    Ich habe keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen ist.
    Im Kopf habe ich gesungen, alle Lieder gesungen, an die ich mich erinnern kann. Die besten ein paar Mal. Meine Mutter hat mir diesen Trick einmal beigebracht. Ich war zwölf und dachte zuerst, sie will mich verarschen oder ist völlig verrückt geworden. Wir waren auf Radtour durch Dänemark. Jeden Tag mussten wir fast hundert Kilometer zurücklegen.Ich verstand nie genau, was ihnen daran solchen Spaß machte. Die Landschaft fand ich nur am ersten Tag toll, dann sahen all die Felder und Wiesen gleich aus. Sogar das Meer. Der Hintern tat mir weh und ich beneidete all die Kinder, die einfach nur am Meer liegen durften. Aber diese letzte Radtour war die schlimmste. Wir hatten ständigen Gegenwind und ich dachte, ich kann nicht mehr. »Sofie«, sagte meine Mutter da, »bei mir ist das so, wenn ich total fertig bin, dann denke ich immer daran, was mir alles wehtut. Aber davon wird es schlimmer. Das Einzige, was wirklich hilft, ist singen.«
    Man muss wohl deutlich gesehen haben, für wie verrückt ich diese Idee hielt, denn sie lachte. »Leise natürlich, nur im Kopf. Das lenkt ab und irgendwie wird es davon leichter. Probiere es einfach mal aus.«
    Mir kam das so blöd vor, dass ich es nie probiert habe. Bis gerade eben. Wenn ich sie wiedersehe, sage ich ihr das. Falls.
    Ich lege mich zurück auf die Matratze, schlage die Beine übereinander, weil ich mittlerweile sehr dringend muss, und kuschle mich tiefer in die Decke. Die Decke

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