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Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Stehle
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ihrer Situation zu ändern, irgendwas, das Sinn macht.
    Ich merke, wie die Kälte an mir hochkriecht, dass meine Hose an den Knien feucht und klamm geworden ist. Vorsichtig richte ich mich auf. Es ist, als stünde ich mitten im Nichts, in einem schwarzen Nichts. Meine Kehle wird eng, es würgt mich und ich bin froh, nichts im Magen zu haben. In der Ecke raschelt etwas. Ich kauere mich zusammen, presse die Augen ganz fest zu, so als könnte ich verschwinden. Dabei ersetze ich nur die eine Schwärze durch die andere.
    Ich versuche zu atmen. Einfach nur zu atmen, gleichmäßig und ruhig. Ich achte so sehr auf meinenAtem, dass ich plötzlich das Gefühl habe, keine Luft mehr zu bekommen. Beinahe kippe ich nach hinten um.
    Etwas tun, etwas Sinnvolles tun. Ich könnte zum Beispiel versuchen, herauszufinden, ob es noch einen Ausgang gibt, doch eine Art Fenster, und wie groß der Raum ist, in dem ich mich befinde. Vorsichtig richte ich mich wieder auf, strecke die Arme nach vorne aus und mache ein paar Schritte. Es ist gar nicht so einfach, da der Untergrund so uneben ist. Schließlich wird es kälter und dann berühre ich eine Wand. Eine Wand aus unregelmäßigen Steinen, die sich ebenfalls feucht anfühlen. Ich stelle mich mit dem Rücken an sie und gehe dann mit ausgestreckten Armen in die entgegengesetzte Richtung, zähle meine Schritte. Es sind zwölf. Dann die Wand entlang bis zu einer Ecke. Und auf einmal sehe ich Licht. Ein schmaler Spalt, vermutlich unter der Tür. Der Spalt wird zu einem Dreieck und ein Lichtkegel fällt in den Raum, erleuchtet die Wand gegenüber, ich sehe die Steine, die ich vorher gespürt habe, den Schmutz in allen Ritzen. Und dann ihn. Ralf.
    Er schiebt etwas in den Raum, das ich als Luftmatratze erkennen kann, wirft ein paar Decken drauf und leuchtet dann den Raum ab. Ich folge mit den Augen dem Licht und erkenne überall die gleichen Steine. Kein Fenster, nichts. Ich meine, Schatten davonhuschen zu sehen. Plötzlich trifft mich derLichtstrahl, blendet mich so sehr, dass ich das Gefühl habe, rückwärtszutaumeln.
    »Ich habe die Sachen mitgebracht«, sagt Ralf und seine Stimme klingt so fröhlich, als wären wir auf einem Campingausflug. »Hast du dich mit deinem neuen Zimmer vertraut gemacht?«
    Er lacht.
    Und mir wird kalt. Ich halte mir die Hände vors Gesicht. So als könnte ihn das abwehren, mich vor ihm schützen.
    Der Lichtkegel wandert nach unten, er bückt sich. Ein schabendes Geräusch, dann flammt ein Streichholz auf. Er zündet eine dicke Kerze an, die auf dem Boden steht. »Licht«, meint er stolz, »eine Semmel und Wasser. Außerdem ein Kübel.«
    Ich habe das Gefühl, dass er irgendwas von mir erwartet.
    Und schweige.
    »Ich kann das Zeug auch wieder mitnehmen.«
    Ich schlucke. »Warum machst du das?«
    »Hm«, murmelt er.
    Meine Augen gewöhnen sich langsam an das Kerzenlicht. Ich sehe, dass er aussieht, als würde er ernsthaft nachdenken. »Damit du selber einmal Schmerz fühlst, siehst, wie du mich verletzt hast.«
    »Aber«, sage ich, »was habe ich denn gemacht? Für den Blödsinn mit dem Oben-ohne-Baden habe ich mich doch schon entschuldigt.«
    Er schnaubt ein wenig. »Du meinst, das sei genug? Aber das ist nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist diese jahrelange Missachtung, dass du mit mir umgegangen bist wie mit einem hässlichen Möbelstück.«
    »Aber«, entgegne ich und weiß doch nicht, was ich sagen soll. Weil ich ihn wirklich kaum beachtet habe.
    »Du hast meine Liebe einfach so weggeworfen, wie damals das Herz.«
    Und mit einem Mal fällt es mir wieder ein. Es ist ewig her. Ich war damals sicher nicht älter als acht Jahre und er hat mir ein Schokoherz geschenkt, als er über die Ferien bei seinen Eltern und Clara war. Clara war in ihrem Zimmer und ich auf dem Weg dorthin. Plötzlich erschien er auf dem Treppenabsatz, worüber ich ziemlich erschrocken bin. Er sah mich an, direkt, und streckte mir dann die geöffnete Hand entgegen, flüsterte »für dich« oder etwas Ähnliches, mit einer ganz seltsamen Stimme, die mir Angst machte. Dann drückte er mir dieses rot glänzende kleine Schokoherz in die Hand, starrte mir die ganze Zeit in die Augen. Ich musste an die Schlange vom Dschungelbuch denken und konnte nicht anders als zurückstarren. Clara brach den Bann. »Sofie, wo bleibst du denn?«, rief sie von oben und ich begann zu rennen, fiel beinahe hin auf der Treppe. Das Herzzerschmolz in meiner Hosentasche zu einem Klumpen, den ich später in den Papierkorb

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