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Passwort in dein Leben

Passwort in dein Leben

Titel: Passwort in dein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Stehle
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Herbstblätter zum Leuchten.
    Das Haus ist leer.
    »Die Russin ist ausgeflogen«, sagt Ralf und grinst.
    Tatjana »die Russin« zu nennen, finde ich mehr als daneben.
    Plötzlich ist mir noch unheimlicher. Obwohl alles hier so vertraut ist. Oder gerade, weil. Dabei scheint ein halbes Leben vergangen zu sein, seit ich das letzte Mal hier war.
    Ralfs Zimmer sieht anders aus als damals, im Frühjahr, als wir hier geschnüffelt haben. Die Bücherberge sind verschwunden, nur ein paar einzelne Exemplare lehnen im sonst leeren Regal. Ralf bückt sich, knüllt die Decken zu einem Haufen zusammen und räumt so eine Matratze völlig frei. Dabei rutscht seine Jacke hoch und ich kann ein Stück seines nackten Rückens sehen. Und den Bund seiner Unterhose. Eine ganz normale aus verschlissener, hellblauer Baumwolle, keine glänzenden Boxershorts, wie David sie trägt. Er setzt sich auf die Matratze und bedeutet mir, mich neben ihn zu setzen.
    Ich zögere, würde am liebsten weglaufen.
    »Was ist los?«, fragt er.
    Ich beiße mir auf die Lippe, räuspere mich und sage dann: »Meine Hose ist bestimmt voll dreckig.«
    »Egal«, sagt er.
    Stille.
    Ralf knackst mit seinen Fingern. »Also, ich lösche erst mal deinen Account«, sagt er und zieht ein Laptop zu sich her.
    »Danke«, sage ich.
    Seine Finger tanzen blitzschnell über die Tasten.
    In der Heizung blubbert es.
    Ich versuche, mich zu entspannen. Er will mir wirklich helfen, denke ich.
    Und plötzlich fällt mir auf, dass die Farbe seines Haars eigentlich ganz schön ist. Wie Herbstlaub mit Sonnenstrahlen darauf.
    »Warum warst du eigentlich die ganze Zeit so gemein zu mir?«, fragt er plötzlich. Ich zucke zusammen. Einfach, weil ich so eine Frage nie vermutet hätte, weil ich die Oben-ohne-Aktion fast vergessen habe.
    »Ich bin wohl in eine Geschwistergeschichte reingeraten und Clara hat immer … tut mir wirklich leid.«
    »Du hast dich benommen, als könntest du michnicht ausstehen«, sagt er und seine Finger halten ganz still.
    »Tut mir leid«, sage ich noch einmal und denke an die vielen Male, als ich ihn ignoriert habe. »Du warst einfach nur ein Rätsel für mich.«
    »Du hast also manchmal an mich gedacht?« Seine Augen. Jetzt sieht er mich direkt an.
    Ich nicke. Stimmt ja irgendwie. Wir haben viel über ihn gelacht, Clara und ich.
    »Und was … also warum hast du im Sommer …«
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll, habe gehofft, dass wir dieses Thema einfach umgehen könnten. Dann komme ich auf die Idee, es einfach umzudrehen. »Hast du es sehr schrecklich gefunden?«
    »Ja.«
    Ich schlucke.
    »Ich meine, wie konntest du vor Erwin so mit deiner Brust rumwedeln?« Er bekommt rote Flecken auf den Wagen. »Ausgerechnet. Weißt du, er hat eigentlich voll Potenzial, blickt total durch bei Computern. Und wozu nutzt er sein Wissen? Um sich kostenlos Pornos anzuschauen, für die man eigentlich bezahlen muss.«
    »Das war echt blöd«, sage ich.
    Aber er scheint mich nicht zu hören, sieht mir auf die Brust. Mir wird ein wenig schwindlig. Es ist, als würde sein Blick ein Loch in meinen Pullover brennen.
    »Ralf«, sage ich, möchte einfach nur, dass er mit dem Computerzeugs weitermacht, aufhört, meinen Busen anzuglotzen.
    Er sieht auf, sieht mich an. Und streckt die Hand aus, berührt meine. Die Härchen auf meinem Arm stellen sich auf.
    »Sofie«, sagt er und klingt wie jemand, der beinahe ertrinkt.
    Ich drücke kurz seine Hand, einfach so, aus Reflex, weil er mir mit einem Mal leidtut. Weil ihn niemand mag.
    Als ich seine Hand wieder loslassen will, umklammert er meine, seufzt.
    »Ralf«, sage ich vorsichtig. Ich möchte, dass er damit aufhört, wieder normal wird. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll. Wenn ich ihn nun wegschubse, hilft er mir sicher nicht.
    Er missversteht mich, legt die Arme um mich und drückt mich so fest, dass es beinahe wehtut.
    Wir sinken nach hinten auf die Matratze.
    Seine Augen dicht an meinen. Ich sehe mich selbst. Gespiegelt. Ein Angstklumpen in meinem Bauch.
    Wie komme ich nur hier raus?
    »Endlich«, sagt er und seine Stimme klingt ganz seltsam.
    Ich bekomme Gänsehaut im Nacken. Angst-Gänsehaut.
    Dann ist sein Mund plötzlich auf meinem.
    Hart, fest, drängend.
    Weg, denke ich, weg, und fange an, mit den Armen zu rudern.
    Da bekomme ich plötzlich einen Stoß gegen die Brust, segle ein Stück zurück. Stechender Schmerz.
    Ralf starrt mich an.
    »Du Hure«, sagt er dann.
    Dabei hat doch er mich gepackt und nicht ich ihn. Ich wollte das

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