Pasta Mortale
Ausbruch von eben«, Palinski blickte den
Minister schuldbewusst an. »Aber diese Ungerechtigkeit und die
Gedankenlosigkeit regen mich eben auf. Sag, Josef, eine Frage habe ich noch.
Wenn du im Fernsehen immer öfter weinende Ehepartner von Österreichern und Österreicherinnen
siehst, die abgeschoben werden, oder Schubhäftlinge, die sich angeblich zur
Wehr setzen und dabei eigenartigerweise selbst so verletzen, dass sie ins
Spital eingeliefert werden müssen, kannst du dann eigentlich in der Nacht noch
gut schlafen?«
»Die Menschen, die abgeschoben werden, haben versucht, sich
auf die eine oder andere Art und Weise Vorteile zu erschleichen«, begann
Fuscheé plötzlich zu dozieren. »Das heißt, dass sie sich rechtswidrig verhalten
haben. Da lässt das Gesetz keinerlei Ermessensspielraum. Und die Mehrheit der
Bevölkerung hätte auch gar kein Verständnis für falsch interpretierte
Menschlichkeit.«
»Das ist, bitte
sehr, Quatsch«, Palinski regte sich schon wieder auf. »Und zwar gewaltiger. Ich
will jetzt nicht irgendwelche rechtskräftig verurteilten Kriminelle
ausländischer Herkunft in Schutz nehmen. Die sperrt ruhig ein und schiebt sie
ab. Aber prügelt sie bei der Gelegenheit nicht gleich krankenhausreif. Das ist
doch unserer Rechtskultur unwürdig. Ich bekomme langsam Angst vor der Polizei.
Ihr müsst unsere Polizei doch vor solchen schwarzen Schafen schützen. So etwas
zu decken, ist doch völlig falsch verstandene Kameraderie.« Er schüttelte
angewidert den Kopf. »Mir geht es aber vor allem um die abgeschobenen
Ehepartner, um Mütter und Töchter, denen man einfach nicht glaubt, besser,
nicht glauben will. Bloß, um ja keine Hoffnung aufkommen zu lassen. Und die
Nummer eins in der EU zu sein, wenn es um die Ablehnung des
Flüchtlingsstatus geht.«
»Ja, aber …«, wollte der Minister einwerfen, doch
Palinski ließ ihn noch nicht zu Wort kommen.
»Einen Moment noch«, knurrte er, »das muss einmal gesagt
werden. Die Schubhäftlinge bekommen jetzt immer öfter ein Gesicht und einen
Namen. Und selbst wenn die kleine Chinesin sich ihre Einreise durch eine Lüge
erschlichen hat, sobald wir wissen, dass sie Mai Li heißt, große Angst hat und
ein Muttermal auf der Stirn, dann werden die meisten Österreicher nicht
verstehen, warum die Frau unbedingt nach Peking fliegen muss. Denn die hätten
in dieser Situation ebenso gelogen. Das Unrechtsbewusstsein ist in Fällen wie
diesen bei Nichtjuristen einfach nicht vorhanden. Aber auch nicht bei allen
Juristen. Das wird vielmehr als Schikane empfunden. Sobald jeder Österreicher
nur einen einzigen Abgeschobenen mit Namen kennt, Mitleid mit ihm und Zweifel
am System hat, könnt ihr einpacken mit eurer unmenschlichen Politik.« Er hielt
inne. »So, jetzt wirst du mich wahrscheinlich hinausschmeißen lassen.«
Miki Schneckenburger war während der letzten Sätze Palinskis
in den Raum getreten, um seinen Chef an den nächsten Termin zu erinnern.
»Tragen Sie mir alle Fakten in Zusammenhang mit der Schubhaft
von Frau Valeria Modrianow zusammen und legen Sie sie mir zu Mittag vor«, wies
der Minister seinen Ministerialrat an. »Und rufen Sie in der Akademie an, dass
ich mich etwas verspäten werde. Und dann geben Sie mir noch fünf Minuten, damit
ich diesem Menschen«, er lachte und deutete auf Palinski, »eine passende
Antwort geben kann.«
»So«, begann
Fuscheé, nachdem Schneckenburger den Raum wieder verlassen hatte, »ich bin dir
noch eine Antwort schuldig. Um ehrlich zu sein, nein. Nur mehr mit
pharmazeutischer Hilfe.«
Palinski verstand nicht.
»Na, du wolltest doch wissen, ob ich in der Nacht noch
schlafen kann.« Er stand auf, ging zum nächstgelegenen Fenster und blickte
hinaus. »Ich kann ohne Schlafmittel nicht mehr existieren. Die Dosis wird immer
höher, es ist ein teuflischer Kreislauf, den ich so rasch wie möglich
durchbrechen muss. Ehe ich endgültig kaputtgehe.« Er drehte sich um und kam zu
Palinski. »Das ist mir eben klar geworden«, er streckte Mario die Hand hin.
»Und dafür möchte ich dir danken. So, jetzt muss ich aber.«
Er ging zur Tür, blieb nochmals stehen und drehte sich um.
»Ruf mich am Nachmittag an. Ich werde schauen, was ich für Frau Modrianow
machen kann. Irgendetwas wird mir schon einfallen.«
*
Juri
Malatschew, ehemalige KGB -Größe, nunmehr Journalist und globaler
Nachrichtenbroker mit Sitz im Caféhaus in Wien, meistens dem ›Landmann‹ beim
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