Pastworld
Lautsprecher den alsbaldigen Start ihres Fluges. Nicht jeder hatte genügend Geld für eine Reise nach Pastworld-London und viele wünschten sich, genau da zu sitzen, wo Caleb jetzt saß. Viele hätten gern die Chance ergriffen, der sterilen Gegenwart zu entfliehen, wenn auch nur für ein paar Wochen. Wer es sich leisten konnte, zahlte ohne Zögern den enormen Preis, nur um auf so elegante Art und Weise in eine andere Zeit zurückzusegeln.
In der Kabine des Luftschiffs roch es leicht nach Leder und Eau de Cologne und Zigarrenrauch. Hier galten bereits die Regeln von Pastworld. Das allgemeine Rauchverbot war außer Kraft gesetzt. Caleb nahm Platz und kuschelte sich in den weichen Sitz. Er musste zugeben, dass er langsam immer aufgeregter und neugieriger wurde. Sein Vater saß ihm gegenüber, neben einem Bullauge. Höflich lehnte er ein Glas Champagner ab, das von einem lächelnden Robotersteward angeboten wurde. Caleb nahm sich rasch ein Glas, erhob es an seinem schlanken Stiel und betrachtete die Bläschen im Licht, das durch die Bullaugen hineinfiel. Der Champagner kribbelte auf seiner Zunge. Er trank das Glas schnell aus und hielt es dem Roboter zum Nachfüllen hin.
»Ich denke, das reicht, Caleb«, sagte sein Vater nicht unfreundlich.
»Ich dachte, wir wären im Urlaub«, sagte Caleb und nippte langsam an seinem zweiten Glas. Sein Vater schüttelte den Kopf und richtete seine Aufmerksamkeit auf seine Pastworld Gazette, eine frühe Originalausgabe, die er mitgebracht hatte. »Ich glaube, ich muss dich daran erinnern, Caleb, dass in Pastworld all die alten, strengen viktorianischen Strafgesetze gelten. Trunkenheit und auffälliges Benehmen sind eine sehr ernste Angelegenheit.«
»Zwei Gläser Champagner reichen für Trunkenheit oder auffälliges Benehmen wohl kaum aus«, sagte Caleb. Seine meerblauen Augen blitzten und auf seinem Gesicht lag ein gewinnendes Lächeln.
»Nun, einigen deiner sogenannten ›Freunde‹ zu Hause in Letchworth würde es in Pastworld nicht allzu gut ergehen. Viktorianische Gefängnisse sind keine Ferienlager und vergiss eines nicht: Hier gibt es noch die Todesstrafe.«
»Aber bestimmt nicht dafür, dass ich das hier trinke«, sagte Caleb, hob sein Glas und lachte.
Das Luftschiff löste sich aus seiner Vertäuung und während es majestätisch in die Höhe schwebte, ertönte sanfte Musik aus einem altmodischen Grammofon. Gespenstische, kratzende Weisen längst verstorbener Musiker erfüllten die Kabine mit beruhigenden Walzer und Tangomelodien. Das authentische Erlebnis, das Eintauchen in ein vergangenes Leben hatte begonnen.
Lucius dirigierte die Musik aus seinem Kabinensitz heraus, während Caleb, entspannt vom Champagner, durch das Bullauge in den blauen Himmel schaute.
Nach etwa einer Stunde glatten, ruhigen Fluges ertönte eine Durchsage aus dem Lautsprechersystem.
»Das Luftschiff der Buckland Corporation dockt in Kürze an der Luftschleuse der Pastworld Kuppel an. Wir bitten die Passagiere, während dieses kurzen Manövers sitzen zu bleiben. Im Anschluss empfehlen wir Ihnen, sich zur Aussichtskabine zu begeben. Bitte denken Sie daran, dass wir uns nach erfolgtem Andocken auf Pastworld-Gelände befinden.«
In der Kabine wurde es dunkel. Einen Moment lang hing alles in der Schwebe, als bliebe die Zeit kurz stehen. Nach ein bis zwei Minuten gingen die Gaslampen an und das Licht in der Kabine veränderte sich, wurde irgendwie weicher. Auch das Gefühl der Vorwärtsbewegung kehrte zurück.
»Nun komm, mein Junge. Wenn es so ist wie bei meinem letzten Besuch, sollte man den Anblick nicht versäumen.« Lucius stand auf und Caleb folgte ihm den engen Gang hinunter zur Aussichtskabine.
Das Panoramafenster zog sich über die gesamte Rückseite der Gondel und reichte vom Boden bis zur Decke – eine einzige große Glaswand mit nur einigen blank polierten Stützstreben. Es vermittelte den Eindruck, als schwebe man einfach ganz still in der Luft. Unter dem Luftschiff war eine leere Stadtlandschaft zu sehen, eine Pufferzone der alten Vorstädte, die während der ersten großen Bauphase geräumt worden waren.
Während sie vor dem großen Fenster standen, quollen unregelmäßig gezackte Nebelstreifen unter dem Bauch der Gondel hervor und deckten alles zu.
Caleb betrachtete den Nebel, der immer dichter wurde, als sie darüber hinwegschwebten. Darunter konnte er eine dunkler werdende, sich immer weiter ausbreitende Grauzone ausmachen, wie ein rollender Schatten oder ein Fleck.
»Ist das
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