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Pastworld

Pastworld

Titel: Pastworld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Beck
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Männer verbeugten sich vor ihren Frauen, die im Gegenzug knicksten und anfingen zu lachen, weil alles so unwirklich erschien. Caleb starrte auf das triefende Maul eines gescheckten grauen Kutschpferdes. Während ihr Träger ihre Kiste und Taschen verstaute, trat ein zerlumpter Mann zwischen den wartenden Droschken vor und bot seine Hilfe an. Der Dienstmann erhob die Faust und der Mann trat zurück. Lucius schaute nervös den Bettler an und der Bettler starrte unter seiner heruntergerutschten Kapuze zurück. Der Gepäckträger hatte alles verstaut und zog seine Schirmmütze. Lucius gab ihm mit einer der vielen kleinen Münzen, die in seiner Tasche klimperten, ein bescheidenes Trinkgeld und stieg dann, gefolgt von Caleb, in die Kutsche, die auf ihren Sprungfedern schwankte, als sie auf den stoffbezogenen Rosshaarsitzen Platz nahmen.
    Auf der Fahrt vom Ankunftsterminal zu ihrer Bleibe wurde Caleb zu einem, wie es die Einheimischen von Pastworld nannten, »Gaffer«, einem überwältigten Touristen, einem Schaulustigen, einem staunenden Zuschauer. Es gab fast zu viel zu sehen und zu begaffen.
    Zuerst einmal war da der Regen. Caleb hatte noch nie so ein graues, scheußliches Wetter erlebt, so etwas gab es zu Hause nicht. An diesem Morgen hingen die Wolken tief am Himmel, es herrschte leichter, künstlich erzeugter Nebel und ein kalter Nieselregen fiel. Alles wirkte verzerrt und wie weichgespült. Die Umrisse der Gebäude und der Menschen waren verschwommen. Es stank nach brennender Kohle und heißem Dampf, nach saurem Ruß, brodelndem Öl und arbeitenden Dampfmaschinen und über allem lag der Geruch nach Pferdeäpfeln und Urin, der Caleb in die Nase stach und sich hinten in seiner Kehle festzusetzen schien.
    Ganz gleich, wie viele Abbildungen er vom alten London und seinen Menschen gesehen hatte, nichts hatte ihn auf die tatsächliche Erfahrung, hier zu sein, vorbereiten können.
    Urplötzlich befand er sich in der lebhaften Welt der Vergangenheit.
    Die Bilder, die er gesehen hatte, waren überwiegend monochrom gewesen, entweder alte viktorianische oder edwardianische Fotos. Bilder, die aussahen, als wären sie in Malzessig oder Tabakrauch eingelegt worden. Verblasst aussehende Bilder in hellem Gelb oder Sepiatönen. In Pastworld waren moderne Kameras verboten, sodass einen nichts auf den Schock der Farben und das wimmelnde Leben vorbereiten konnte. Die Kleidung der Frauen war sehr bunt, mit Blumenmustern bedruckt oder aus Samt oder Seide, unifarben in kräftigen Purpur-, Gelb- und Rottönen. Ein starker Kontrast zu den gedeckten Farben der Männerkleidung. Die meisten Herren waren in förmliches Schwarz gekleidet, nur ein paar Schönlinge trugen karierten Tweed oder golddurchwirkte Westen. Alle hatten Hüte auf. Einige der Frauen hatten sich mit Riesenhüten mit ausladendem Federschmuck herausgeputzt. Die Männer trugen glänzende Zylinder, einfache Filzhüte oder hohe Hüte mit gebogener Krempe. Dazwischen waren die Buckland Kadetten in ihren roten Uniformen und die Londoner Polizisten, Bobbys genannt, in Dunkelblau mit hohen Helmen zu sehen.
    An diesem Morgen seines ersten Besuchs flogen Calebs Blicke nur so von hier nach da. Er war ganz verwirrt von der Fülle der Eindrücke. Das Gehetze und Gewusel, der ständige Lärm des starken Verkehrs. Die klappernden Pferdehufe, das metallische Klirren des Zaumzeugs. Auf den Straßen lagen höchst unhygienische Haufen von Pferdeäpfeln und der Pferdeurin strömte nur so in die Gullys. Caleb konnte die Krankheitserreger fast hören, die aus dem Dampf nach oben stiegen und sich über alles legten, wimmelnde Bakterienkolonien, die vom Kopfsteinpflaster auf die Schuhe emporkrabbelten, von den Schuhen in die Kleidung, von der Kleidung in den Körper. Er schauderte.
    Caleb betrachtete die überwältigende Menge armer Leute, die sich zwischen den eleganteren Gaffern und Bewohnern drängte. Der Krach, den diese Armen veranstalteten, ihre derbe Ruppigkeit, die schiere Anzahl, die unterschiedlichen Hautfarben und die schnellen, selbstbewussten Bewegungen, mit denen sie sich auf den Gehsteigen fortbewegten, irritierten ihn. Allein das Gedränge und Gerempel ließen Pastworld als gefährlichen Ort erscheinen. Für manche vielleicht sogar furchterregend. Für einen dünnen, siebzehn Jahre alten Jungen aus einer ruhigen, reichen Gartenstadt lag ein unmittelbares Gefühl von Gesetzlosigkeit und Abenteuer in der Luft. Caleb hatte den Eindruck, als könnte und würde so gut wie alles passieren

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