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Pastworld

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Titel: Pastworld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Beck
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bemalten, mit Zeltplane überzogenen Wohnwagen. Ein Artist im bunten Harlekinkostüm stand vor dem Wagen und ein weiterer spielte auf einem zerbeulten Kornett. Über ihnen war ein Transparent aufgespannt mit der Aufschrift »Jagos berühmtes Varieté«.
    Die Artisten hatten eine ganze Menge Gaffer angezogen, die dicht gedrängt und neugierig um sie herumstanden. Ich fürchtete, der Bettler könnte mir immer noch auf den Fersen sein, sodass ich mich schnell unter die Menge mischte.
    »Entschuldigung«, sagte ich, »tut mir leid, entschuldigen Sie bitte«, und kämpfte mich nach vorn, so weit weg vom Blutgeruch, von Schweinekadavern und zerlumpten Männern, wie ich nur konnte. Die meisten Leute, an denen ich mich vorbeischob und -drängelte, schienen eher gutmütig zu sein, aber dazwischen befanden sich auch ein paar rauer aussehende Gestalten. Männer und Frauen mit tief eingesunkenen Augen und eingefallenen Wangen. Sie sahen verhungert aus und ihre dünnen, knochigen Handgelenke ragten aus ihren schmutzigen Gewändern heraus.
    Auf jeder Seite der kleinen Bühne stand ein überdachter Wagen und hoch darüber war zwischen zwei gestreiften Pfählen ein Seil gespannt. Auf der Bühne stand ein Harlekin und schlug eine kleine Trommel, ein weiterer hielt sich an einem der Stützseile fest und rief mit heiserer Stimme. Sein Gesicht war weiß geschminkt, sein dünner Mund leuchtend rot angemalt.
    »Herbei, herbei«, rief er. »Seht, wie Jago auf dem Seil tanzt. Den ganzen langen Weg aus dem fernen Indien, um hier und heute bei uns im eisigen, alten London zu sein, den ganzen langen Weg aus der Hitze und dem Staub dieses fernen Landes, nur um hier für euch auf dem Hochseil zu tanzen, fünf Meter über dem Boden und ganz ohne Netz, herbei, herbei, kommt alle herbei.«
    Die rückwärtige Zeltplane eines der Wagen wurde angehoben und ein weiterer Harlekin betrat unter lautem Applaus die kleine Bühne. Sein dunkles Gesicht bildete einen starken Kontrast zu den weiß geschminkten Harlekinen. Als er auf dem unteren Teil des Seils balancierte, fielen mir seine weichen Schuhe auf und wie er, vermutlich um sich festzuhalten, seine Zehen um das Seil krallte. Der indische Harlekin trug einen bunten Sonnenschirm mit leuchtendem Rautenmuster. Um sein Gleichgewicht zu halten, schwenkte er den Schirm, und ging langsam Schritt für Schritt und mit übertrieben komischen Bewegungen bis zum Ende des Stützseils hoch. Ich kämpfte mich noch weiter vor und drängelte bis in die erste Reihe, um besser sehen zu können. Dabei schlug der Trommler unentwegt weiter den Takt.
    Der Harlekin schickte sich an, das Seil zu überqueren, aber plötzlich schien er das Gleichgewicht zu verlieren, er kippte nach vorn und wäre beinahe nach unten in die Menge gestürzt. Zuerst beugte er sich mit ausgestreckten Armen und ängstlich dreinschauend in die eine Richtung und dann in die andere. Die Menge in der Nähe der Bühne wurde ganz still. Wie viele andere hielt auch ich die Luft an. Dann lachte jemand und wir merkten, dass es sich um einen Trick handelte. Er tat nur so, als würde er fallen. Das machte den Leuten Spaß und sie fielen in das Lachen ein. Es gab Ooohs und Aaahs und noch mehr unsicheres Gelächter. In meinem ganzen armseligen, langweiligen, zurückgezogenen Leben hatte ich noch nie etwas so Spannendes und Aufregendes gesehen.
    Einer der Harlekine lief mit einer Sammelbüchse herum. Ohne hinzusehen, steckte ich ein paar Münzen aus meiner Manteltasche hinein. Ich wusste nicht, wie großzügig ich wirklich gewesen war. Der Harlekin lächelte, als ich die Münzen in die Büchse warf, sein Gesicht unter der weißen Schminke war freundlich und gutmütig.
    Der Seiltänzer beendete seinen Tanz über den Köpfen der Menge. Ich konnte nicht sehen, wie er es machte, aber durch irgendeinen schlauen Trick schien der indische Harlekin in einer Art von Slow Motion auf die Bühne herunterzuschweben. Ich fiel in den wilden Applaus ein und fühlte mich plötzlich sicher, warm und glücklich, so dicht eingekeilt in der Menge, die diesen farbenfrohen Artisten zusah.
    Der Trommler legte sein Instrument beiseite und zog einen kleinen Tisch an die Vorderseite der improvisierten Bühne. Der Tisch war mit einem großen, kostbaren Tischtuch bedeckt; es war blau, blau wie der Himmel, wie die Unendlichkeit, wie die Harmonie, und auf dem Blau prangten viele kleine silberne Sterne. Der indische Harlekin, der, den ich für Jago hielt, hob die Hand; um die Aufmerksamkeit der

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