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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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gewordenem Nachkriegspapier festgehaltenen fernen Zeilen. »Ach, wie sieht es anders aus, hier mit diesem neuen Haus! Wenn man sich nicht täglich windet, wie man es zusammenbindet?«, beginnt ein dreiseitiger gereimter Text über den maroden Zustand des Hauses seiner Eltern. Überhaupt hörte ich aus frühen Erzählungen der ersten Nachkriegs- und Studienjahre immer eine sehr ausgelassene, geradezu beschwingte Zeit heraus. Tanzfeste nannte man die Einladungen – es wurde viel getanzt, es wurde viel gelacht, das Tanzen selbst wurde gefeiert.
    Meine Mutter lernte meinen Vater zunächst 1946 nur kurz kennen, denn sie wohnte zu der Zeit in Schweden bei einer Gastfamilie, studierte Klavier und finanzierte ihren Aufenthalt dort neben Kinderhüten auch mit Fensterputzen bei verschiedenen Stockholmer Familien. Ihren Lohn teilte sie am Ende des Monats noch auf, um schwedische Kekse an ihre vier Waisengeschwister zu verschicken, und einmal, um meinen Vater mit einer Bahnfahrkarte nach Kopenhagen zu überraschen. Er war damals sehr aktiv bei der Hamburger Studentenbühne und fuhr viel in die Schweiz, um Bühnenmaterial für die Aufführungen zu beschaffen. Daher hatte er die nötige Ausnahmegenehmigung, internationale Züge zu benutzen. Meine Eltern trafen sich in Kopenhagen, und so ergab es sich, dass sie ihre erste, für sie so bedeutsame gemeinsame Nachkriegsreise in einem internationalen Zug nach Hamburg machen konnten.
    Vielleicht diskutierte der Freundeskreis auch manches Mal die Kinofilme, in denen der Onkel meines Vaters, ErichPonto, damals häufig auf der Leinwand zu sehen war. Heute ist er vor allem noch durch zwei Kultfilme bekannt, als Gegenspieler von Heinz Rühmann in der »Feuerzangenbowle« und in der Rolle des Arztes in »Der dritte Mann« mit Orson Welles.
    Unsere Ende der Vierzigerjahre zugeheirateten Mütter verband keine vergleichbare Freundschaft. Meine Mutter hat sich als schlesische Berlinerin im Grunde nie richtig wohlgefühlt in Hamburg. Sie vermisste eine natürliche Ausgelassenheit, die ihr selbst angeboren war und die trotz vieler früher Schicksalsschläge ein Teil ihrer Natur blieb. Sie empfand den Umzug in den hessischen Taunusraum 1964 immer als Schicksalsfügung. Der nicht so verschnackt unterkühlte, gesellige und gut gebildete Frankfurter Freundeskreis lag ihrem Gemüt mehr. Es gab mehr Zugereiste und eine mildere Landschaft.
    Meine Hamburger Kindheitserinnerungen an Eure Familie beschränken sich auf Schwarz-Weiß-Fotografien – ja, so lange ist das her –, die sich, noch in alter Klebetechnik befestigt, irgendwann aus den Albumecken herauslösten. Kein Bild dieser Zeit blieb je ganz an seinem Albumplatz: ein ausgelassenes gemeinsames Den-Berg-Hinunterrodeln im Glitzerschnee am Süllberg oder am Falkenstein; Blindekuhspielen und Topfschlagen in lauter, bunter Gesellschaft auf einem Kindergeburtstag bei uns – turbulenter Kinderfasching bei Euch. Ja, die wohl deutlichste Erinnerung habe ich an diesen ersten Kinderkarneval in Eurem Haus. Vielleicht war ich zweieinhalb oder drei? Ich hatte in den Tagen Mumps. Das ganze Gesicht voller Pickelpusteln, was meine Mutter auf die Idee brachte, die zahlreichen Punkte zum Kostümgesamtentwurf zu gestalten. Ich trat also als Marienkäfer auf – Punkte auf dem Umhang, an den Händen, auf einer überdimensional großen Haarschleife, die das Bild beherrschte. Noch lange war meine Mutter stolz auf dieses Kostüm, und ich fasste den frühen Entschluss, nie wieder Haarschleifen zu tragen.
    Nachdem mein Vater von der juristischen Abteilung der Dresdner Bank in Hamburg 1964 in den Vorstand nach Frankfurt berufen worden war, begann schon mit der zweiten Klasse Volksschule meine hessische Jugend. Auf die Nachfrage eines wohlmeinenden älteren Bekannten, wie es mir denn so gefiele in der neuen Schule, antwortete ich: »Ich verstehe kein Wort«, womit ich die Mundart, die in der Schule damals noch viel gesprochen wurde, meinte. Dieses Zitat kursierte viele Jahre im Familienkreis als stehende Redewendung bei Meinungsverschiedenheiten.

    Liebe Corinna,
    auch in unseren Fotoalben taucht Ihr auf. Es gibt ein schönes, lustig-fröhliches Bild von einer Barkassenfahrt im Hamburger Hafen, in dessen Zentrum unsere Mütter entspannt miteinander plaudernd zu sehen sind. Es gibt Super-8-Aufnahmen von einem gemeinsamen Skiurlaub und Aufnahmen, auf denen Deine Mutter auf einer Bergstation in den weißen Schnee schaut und Dein Bruder Schwünge durch den Schnee zieht.

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