Patentöchter
Freundschaft erweiterte sich auf unsere Frauen, bald auch auf unsere Kinder, auch auf unseren Nachkömmling Julia, die Deine Patentochter wurde, so wie ich Corinnas Pate war. Wir hatten die gleichen Vorstellungen darüber, was aus den Kriegstrümmern entstehen sollte. Wir hatten zueinander passende Freunde. Wir haben uns gegenseitig angespornt und voneinander gelernt. Alles in dieser wundersamen Zeit nach dem Kriege, in der sich immer wieder neue Möglichkeiten ergaben.
In manchem warst Du auch Vorbild. Deine Nüchternheit war voller Herzlichkeit. Deine Beredsamkeit war auf Kenntnisreichtum wohl fundiert, Deine Klarheit und Entscheidungsfähigkeit waren zugleich verständnisvoll und überlegt. Das klingt ein bisschen abstrakt, aber es hilft doch, uns daran zu erinnern, was Du mir bedeutet hast, wie ich Dich gern gehabt und wie ich Dich geachtet habe. Viele konkrete Erinnerungen drängen sich dazu.
Ich denke z. B. an den Abend, als Ignes gerade Corinna geboren hatte, sie lag in der Mittelwegklinik, und wir saßen bei Dir zu Hause in der Magdalenenstraße und sahen zu ihr rüber. Oder ich denke an den Tag, als wir Tischrücken ausprobierten und als es dann plötzlich wirklich funktionierte. An die Taufen Deiner und unserer Kinder denke ich, an Gespräche über Berufschancen, an Silvesterabende mit und ohne Feuerwerk, an Skilaufen mit Ignes und den Kindern in Hochgurgl, an politische Gespräche, an Gespräche über den Sinn des Lebens und an Neujahrsspaziergänge von eurem Waldhäuschen aus.
Diese Worte stammen aus einem Brief meines Vaters, den er 1992 an den toten Freund gerichtet hat.
Auch als Pontos berufsbedingt nach Oberursel zogen, bestand die Freundschaft fort. Ich erinnere mich an einen Besuch von Jürgen an einem warmen Sommertag in Blankenese. Er warf für mich ein Fünfmarkstück in das Schwimmbad und bewunderte meine Tauchkünste. Meine Mutter erinnert sich, dass die beiden Männer an diesem Tag gemeinsam einen langen Spaziergang unternahmen, bei dem es um die Frage ging, ob Jürgen den Vorstandsposten bei der Dresdner Bank annehmen sollte.
Meine Mutter fühlte sich in Hamburg immer auch ein wenig fremd. Nicht als Hamburgerin eben. Die hamburgische Gesellschaft, zu der man entweder gehörte oder eben nicht, die Attribute des Wohlstands, die auch meinen Vater anzogen, waren ihr ein wenig suspekt. Die Auseinandersetzung meiner Eltern um den Bau eines Schwimmbads im Garten des 1962 erworbenen Hauses in Blankenese war hierfür sicherlich symptomatisch. Meine Mutter fand das protzig und over the top. Für meinen Vater verkörperte sich darin zwanglos die Umsetzung seiner persönlichen Wünsche, und es erfüllte ihn durchaus auch mit Stolz, dass er sich diesen Lebensstil erarbeitet hatte.
Die Aufbruchsstimmung der Studentenbewegung erreichte natürlich auch meine Eltern und hatte vor allem auf meineMutter einen gewissen Einfluss. Sie las die neuesten Publikationen zu Politik, Psychologie und Pädagogik, sie las sowohl das Kursbuch als auch den Merkur, sie las Alexander Mitscherlich, Bruno Bettelheim, Hannah Arendt, Sigmund Freud erneut, Adorno, Horkheimer und Habermas. Und sie begleitete Susanne zu mancher Vorlesung an die Universität, weil sie besser verstehen wollte, was die Studentengeneration bewegte, unter anderem auch zu einem Vortrag des niederländischen Psychiaters Sjef Teuns, der 1973 einen viel gelesenen Artikel im Kursbuch zu den Folgen der Isolationshaft von RAF – Gefangenen veröffentlicht hatte. Und sie erzog mich – in der Folge der neuen Gedanken und Erkenntnisse – ganz anders, vor allem weniger streng als die Großen. Manieren und Benimm standen weniger im Fokus. Wichtiger war nun, dass ihr jüngstes Kind sich entfalten konnte. Der Anpassungsdruck war weniger stark. Die theoretische Offenheit für die neuen Zeiten war bei meinem Vater vielleicht nicht so ausgeprägt. Und auch bei meiner Mutter führte sie nicht zu einer wirklichen Annäherung an die Gedankenwelt meiner Schwestern. Im Herzen, glaube ich, blieb ihr das Unbehagen, das vor allem Susanne offenbar empfand, ihre Wut und ihr Aufbegehren, fremd.
Was meinen Eltern – so wie der Mehrheit ihrer Generation – weitgehend fehlte, war das Verständnis für das spezifische Leiden der heranwachsenden Generation, das zum einen mit der nicht vollzogenen Bewältigung der Naziverbrechen und zum anderen mit den nicht aufgearbeiteten eigenen traumatischen Kriegserfahrungen zu tun hatte. Sie verstanden das Aufbegehren ihres Kindes
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