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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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Natürlich gibt es Fotos von meiner Taufe, mit Deinem stolzen Vater für das Foto aufgestellt neben meiner Mutter und mit den anderen Paten, und dann später von dem gemeinsamen Essen mit vielen Gästen.
    Julia
    Julia Albrecht mit ihrer Mutter und ihrem Taufpaten Jürgen Ponto

    Liebe Julia,
    jetzt muss ich mich schon suchend konzentrieren auf weitere Begegnungen mit Eurer Familie. Vielleicht einzelne Besuche von uns auf der Durchreise in die Nordferien, Besuche Deiner Eltern in Oberursel auf der Reise in den Süden.
    Bei meiner Konfirmation 1972 saßen wir alle um einen großen runden Tisch in einem Kronberger Hotel. Der jüngere Bruder meiner Mutter hielt eine liebevolle, wie immer lustige Rede mit dem Höhepunkt der Übergabe eines uraltsilbernen Serviettenrings. Es war der letzte Gegenstand, den es noch vom Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke gab. Selbstbewusste Engel hielten auf ihm das Familienwappen – ein Taufgeschenk für meine Urgroßmutter Lenore, welches zu entsprechenden Gelegenheiten an jüngere Familienmitglieder weitergereicht wurde. Nun war ich an der Reihe.
    Empfindsam, wie ich damals war, weinte ich vor gerührter Aufregung unkontrolliert los, eine nicht untypische Verhaltensweise meiner Familie mütterlicherseits bei Tischreden, und verschwand mit dem Kopf unter dem Tisch. Beim Wiederaufblicken schaute ich direkt in die verwirrten Augen Deines Vaters, meines Patenonkels, der mir genau gegenübersaß. Diese Blick-Koinzidenz, das Treffen meiner verweinten, tränengefüllten mit seinen verwirrten Augen, ging mir später immer wieder durch den Kopf. Ein Augen-Blick, der nicht eingeklebt, sondern eingebrannt war im Familienalbum.
    Dein Vater schenkte mir an diesem Tag eine kleine Silbervase für eine Blume. Ich mochte die Vase sehr, habe sie später aber nur ganz wenig benutzt, das eingravierte Datum stets zur Wand gewendet.
    Nach dem festlichen Konfirmationsessen gab es noch einen Kaffee mit viel Zufriedenheit und Frohsinn in der Runde auf der Terrasse des Hotels. Fünf Jahre später sollte meine Mutter genau hier, in dem dunkelgetäfelten Vorraum zu dieser Terrasse, in Ohnmacht fallen.
    Meine vorletzte Erinnerung an Deine Eltern betrifft meinen 18. Geburtstag. Meine Eltern hatten neben meinem Freundeskreis alle ihre Lebensfreunde mitsamt ihren Kindern eingeladen. Deine Eltern kamen allein.
    Im Dunkel der frühen Nacht, punktuell beleuchtet von einzelnen kleinen Windlichtern, riss die lange Perlenkette Deiner Mutter – ich glaube, an einer Stuhllehne. Die Umsitzenden sprangen hilfstrunken auf und tasteten gemeinsam den Verandaboden ab. Die Perlen hatten aber ein anderes Tempo und konnten nicht vollständig eingesammelt werden; dafür habe ich mich seltsam verantwortlich gefühlt. Dieses Wegspringen der frechen weißen Muschelbewohner und die Hilflosigkeit, sie zu fangen, bleiben mir starke Erinnerungen an den Tag. Vielleicht liegt noch eine Perle dort.
    Deine Corinna
    Konfirmation von Corinna Ponto.
    Links neben ihr ihre Mutter und ihr Taufpate Hans-Christian Albrecht

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Nachwirkungen des Krieges
Julia Albrecht
    Für mich gab es keine Vorahnung in Bezug auf das, was 1977 geschah. Ich hatte die Sorgen der Eltern um Susanne in der Zeit zuvor zwar partiell mitbekommen, aber nur so, wie man ein Unwetter vorbeiziehen sieht. Wenn sie sich um Susanne oder auch meine anderen Geschwister sorgten, dann nahm ich das als eine Erwachsenensicht wahr, die mit meinem Kinderblick auf meine Geschwister nichts zu tun hatte. Ich liebte meine großen Geschwister mit starker Leidenschaft, gleichzeitig aber aus der Ferne. Sie waren ausgezogen, noch bevor ich acht Jahre alt wurde, und waren die nächsten Jahre nur noch sehr sporadisch zu Hause. Vor allem die Schwestern spielten für mich eine wichtige Rolle, sie verkörperten ein anderes Leben außerhalb meines Vorstadtradius, sie brachten eine Aura anderer Welten und anderer Werte, sie brachten Abgrenzung und das Leid des Erwachsenwerdens mit, wenn sie zu Besuch kamen.
    1977 war Susanne 26 Jahre alt, sehr erwachsen also in den Augen einer 13-Jährigen. Damals lebte ich mit meinen Eltern in einer großen Wohnung in Hamburg-Othmarschen. Ich hatte gerade die siebte Klasse beendet. Meine Fixpunkte waren meine Freundinnen und Freunde in Schule und Nachbarschaft.
    Meine Erinnerung an Susanne ist brüchig. Ich weiß, dass sie uns regelmäßig besuchte. Und dass diese Besuche nicht immer stressfrei waren. Manchmal waren auch beide, meine Schwester und meine Mutter,

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