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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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gegen ihren persönlichen Wohlstand und die kapitalistische Gesellschaft falsch, wenn sie meinten, es ginge nur um Äußerlichkeiten. Der eigentliche Konflikt ging viel tiefer. Und wäre auch als Familienkonflikt nicht lösbar gewesen.
    In Bezug auf die Vorwürfe der Jugend an die Elterngeneration, mitverantwortlich für die Verbrechen der Nazis gewesen zu sein, fühlten sich meine Eltern nicht angesprochen. Beide waren während der Nazizeit damit konfrontiert gewesen, dass jeweils ein Großelternteil jüdisch war.
    Wenn ich mich richtig erinnere und es richtig verstanden habe, kreisten die Auseinandersetzungen innerhalb der Familie weniger um Politik. Darum auch. Es war einfach eines der Themen meiner Schwester, die Auswüchse des Kapitalismus anzuprangern und diese auch in dem Lebensstil ihrer Eltern verkörpert zu sehen.
    Ausgetragen wurden die Konflikte in den Auseinandersetzungen um Äußerlichkeiten. Immer wieder ging es um die Kleidung meiner Schwester, um die Frisur, um die Einrichtung der Wohnung und die Gegend, in der sie wohnte. Es scheint, als symbolisierten sich für beide, für die Eltern und für die Schwester, eben hierin die Konfliktlinien. So wie meine Eltern in den Siebzigern lebten, war es für sie sehr schwer zu akzeptieren, dass sich ihr Kind so stark von ihnen absetzte.
    Auch für mich waren diese Konflikte nicht ganz einfach, da ich klar spürte, dass sich dahinter einander widersprechende Weltanschauungen verbargen. Ich fürchtete auch um meine eigene Stellung in der Familie und wollte es mir mit keiner Fraktion verderben. Ich wollte nicht, dass die Lebensstilkritik an meinen Eltern auch an mir hängen blieb. Eng verbunden mit meinen Eltern und fern der Lebenswelten meiner Schwestern fürchtete ich um mein Ansehen bei ihnen. Die Schwestern vermittelten klar, dass sie den Wohlstand und deren Attribute ablehnten. Und so wie meine Eltern auf sie, versuchten sie auf mich über die Kleidungsfrage einzuwirken. Sie kritisierten mein ewiges Röcketragen und wollten, dass ich endlich Jeans trug.
    Meine älteste Schwester schenkte mir zu meinem Geburtstag nicht nur ungarische Salami, die ich liebte, und gelegentlich Schmuck – ich erinnere mich an eine Uhr und an einen Armreif –, sie schenkte mir vor allem Jugendbücher aus dem Verlag Beltz & Gelberg. An dem schiefen Blick meiner Mutter und an dem unschuldigen Blick meiner Schwester konnte ich unschwer ablesen, dass sich dahinter eine Botschaft verbarg, dass die orangefarbenen Bücher Gedanken und Vorstellungen vermittelten, die in der Bücherwand meiner Eltern nicht unbedingt vorkamen. Später machte sie sich dann einen Spaß daraus, in einem ausgeschnittenen Buchblock mit dem Cover von Beltz & Gelberg ein ganz anderes Geschenk für mich zu verstecken.
    1976 reisten meine Eltern mit mir zum Besuch eines nahen Verwandten nach Südafrika. Insgeheim hoffte ich, dass meine Schwestern davon vielleicht nichts erführen, denn ich meinte zu wissen, dass in ihren Augen eine solche Reise vollkommen verwerflich war. Nicht nur wegen der Exklusivität eines solchen Fluges, sondern auch, weil Südafrika mit seiner brutalen Apartheidpolitik als Reiseziel diskreditiert war.

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Drei Besuche
Corinna Ponto
    Deine Mutter rief meine Mutter 1977 eines Abends mit der Bitte und Frage an, ob S. bei uns übernachten könne, denn sie brauche eine Schlafpause auf dem Weg von Basel nach Hamburg. Sie berichtete, dass S. wieder zu Hause sei, und auch, dass sie gerade eine so gute Entwicklung mache. Darüber seien sie und Dein Vater froh und erleichtert. S. sei sogar zu einer Konfirmation mitgekommen.
    Meine Mutter stellte aus Diskretion, vielleicht auch aus Unaufmerksamkeit leider keine Gegenfragen: Welche gute Entwicklung, wo stand sie denn früher? Wir hatten ein offenes Haus – selbstverständlich konnte S. kommen.
    Von ihrer politischen Orientierung und Vorgeschichte wussten wir so gut wie nichts. Weder von ihren Beziehungen zur linken Hausbesetzerszene in Hamburg noch von der Tatsache, dass S. seit 1973 im BKA – Computer registriert war. Auch von ihrer Beziehung zu Karl-Heinz Dellwo, ihrer Zugehörigkeit zum Umfeld der Attentäter auf die Deutsche Botschaft in Stockholm 1975, einer Festnahme an der holländischen Grenze und einem eingestellten Gerichtsverfahren aus dem Jahr 1976 hatte Deine Mutter nichts erwähnt. Das erfuhren wir alles viel später – auch dass Dein Vater mit dem Strafverteidiger in S.’ Gerichtsverfahren korrespondiert hatte.
    Vielleicht kann

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