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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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in den nächsten fünfzehn Minuten, denn dann ist schon Redaktionsschluss für heute.«
    Ich hörte mich antworten: »Wissen Sie, ich bitte um Verständnis, ich habe mich dreißig Jahre zu den Fragen nicht öffentlich geäußert, nun werde ich nicht innerhalb einer Viertelstunde antworten können.«
    Das Gespräch war beendet. Das Interesse an den Antworten auch. Es hatte ein Haltbarkeitsdatum von einem Tag – merkwürdig, wo doch alle Daten und Themen, das Gedenkjahr, die Begnadigungen und Freilassungen, nicht überraschend kamen. Mich erreichten auch andere Interviewwünsche, und für die Beantwortung der Fragen gab man mir eine Viertelstunde, einen halben Tag und einmal sogar eineinhalb Tage.
    Für mich war die Zeit jeweils zu kurz – zu kurz, um auf Fragen zu reagieren, für deren Beantwortung man auch ein Leben lang brauchen könnte.
    Nie hatte ich bisher über den Mord, über den Verrat gesprochen. Vielleicht war das ein Fehler – vielleicht hätte ich mir dann das für Fernsehen und Radio notwendige Tempo antrainiert gehabt. Die Macht des Dezimalsystems – 30 Jahre Deutscher Herbst – zwang mich 2007 dazu, mich zu wappnen. Bis dahin hatte ich noch nie einen der Mördernamen ausgesprochen. Ich übte, sie auszusprechen. Die Furcht, dass es zu leise klingen würde, falls ich sie in den Mund zu nehmen hätte, brachte mich dazu. Wenn andere die Namen aussprachen, klang es immer so selbstverständlich – bei mir fielen sie aus dem Wortschatz.
    Nun, was empfand ich bei der Freilassung von Brigitte Mohnhaupt?
    Ich sah fern.
    Es herrschte Feierlaune in Berlin. Der Sekt hatte die Wangen der Festgäste schon fein durchblutet. Es wurden 50 Jahre Europäische Integration gefeiert, und eine Topterroristin, die ebendieses freie Europa bekämpft hatte, durfte genau von dieser Nacht an ihre neue Freiheit genießen. Ihre Opfer, die die ersten Schritte für ein freies Europa mitgestaltet hatten, konnten diese Feier nicht mehr erleben. Es tat weh, und in mir tönte es: And the winners are …
    19. Dezember 2008.
    Die Bäckerin spricht mich an: »Heute kommt ja dieser Christian Klar frei – na ja, die einen meinen so, die anderen so.« Ich schaue sie erschrocken an. Sie kennt meinen Mädchennamen nicht, weiß sie irgendetwas von mir? Sie erwartet eine Antwort.
    »Ja, ja«, stammele ich.
    Sie mustert mich misstrauisch. Ich kenne diesen Blick – diese Musterung: Von welcher Seite ist die wohl? Am Flughafen bin immer ich diejenige, die ihre Schuhe ausziehen muss. Inzwischen bekomme ich wutresigniert schon vor der Kontrolle dieses Schuhauszieh-Lampenfieber.
    Schon im September 1977, nachdem ich im Dunkel eines späten Abends die Kisten für meinen Umzug nach Amerika eingepackt hatte, rissen beim Herausfahren aus dem Grundstück in Oberursel Beamte der örtlichen Polizei meine Autotür auf. Ich schaute in mehrere Maschinengewehrmündungen, und es entstand eine seitenverkehrt lebensbedrohliche Sekunde für mich: Jetzt nur keine falsche Bewegung!
    Seit der Freilassung von Christian Klar gehe ich anders durch Berlin. In der U-Bahn, in der Sonne im Café streift mich die Ahnung, dass man sich begegnen könnte. Die Furcht davor schwingt jederzeit mit.
    Mit den letzten Freilassungen geht die leise Ahnung einher, dass ich nun endgültig Gefangene der eigenen Geschichte bin.

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Gewalt und Wahn
Julia Albrecht
    Liebe Corinna,
    mich haben diese beiden Entlassungen auch berührt. Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar waren in Stammheim als Zeugen in dem Verfahren gegen meine Schwester vorgeladen gewesen. Beide traten sehr scharfmacherisch auf, und vor allem Mohnhaupt griff meine Schwester und die anderen Exterroristen, die in der DDR gelebt hatten, scharf an: »Ich habe mir etwas anderes vorgestellt, eine Verteidigung ihrer selbst, keine Lebensbeichte. Sie haben die Möglichkeit, [ihre Geschichte] im Prozess auszukämpfen, nicht genutzt.« Und: »Seit einem Jahr läuft hier ein Kronzeugenfilm ab. Die Verhaftungen 1990 waren Inszenierung. In Wirklichkeit sind sie [die zehn Ex- RAF – Terroristinnen und – Terroristen, die in der DDR untergeschlüpft waren] aus ihrem Lebenszusammenhang gerissen worden.« Gespielt werde ein »Fortsetzungsfilm, wie schlimm es in der RAF war«. Und Christian Klar verkündete: »Soll die Bundesanwaltschaft auf den Kitsch spekulieren, das traurige Bild von Verrätern ausbeuten, sollen sie ihr Programm durchspielen, die Gefangenen werden danach sprechen, und zwar direkt zur Öffentlichkeit.«
    Als

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