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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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Mohnhaupt freikam, hat mich die reflexhafte Reuedebatte gestört. Wieso sollte sie Reue zeigen, wenn sie keine Reue empfand? Und wieso sollte sie überhaupt Reue empfinden? Das sieht unser Strafsystem als Voraussetzung für eine Freilassung nach einer abgesessenen Haftstrafe nicht vor. Es wurde immer der Eindruck erweckt, als handele es sich bei ihrer Freilassung um einen Gnadenakt. Dabei war es die Bundesanwaltschaft, die eine Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung beantragt hatte, nachdem sie 24 Jahre gesessen hatte.
    Ich teile übrigens – auch wenn es mir schwerfällt, das zuzugeben – Dein Gefühl des Unbehagens. Es beruhigt mich, dass Brigitte Mohnhaupt angeblich in der Nähe von Karlsruhe, also weit weg von Berlin, lebt. Und es beunruhigt mich, Christian Klar in Berlin zu vermuten. Sie stehen für mich für Angst und Gewalt.
    Das wäre völlig anders, wenn die Exterroristen sich für die Aufklärung des Kapitels RAF einsetzten. Dabei scheint das Gegenteil der Fall zu sein: Im Mai 2010 haben – nicht namentlich benannte – Mitglieder der untergegangenen RAF einen offenen Brief verbreitet, in einer Sprache, die mich an den Auftritt von Mohnhaupt und Klar im Prozess gegen meine Schwester erinnert und die inhaltlich nach vorvorgestern klingt, nach Gewalt und Wahn.
    In diesem Schreiben von »einigen, die zu unterschiedlichen Zeiten in der RAF waren«, geht es den anonymen Verfassern vor allem darum klarzumachen, dass sie jede Hilfe bei der Aufklärung der Vergangenheit ablehnen: »Wenn von uns niemand Aussagen gemacht hat, dann (…) weil das für jeden Menschen mit politischem Bewusstsein selbstverständlich ist. Eine Sache der Würde, der Identität – der Seite, auf die wir uns gestellt haben.«
    Dann folgt die Umdeutung der RAF in eine Befreiungsbewegung: »Keine Aussagen zu machen, ist keine Erfindung der RAF . Es hat die Erfahrung der Befreiungsbewegungen und Guerillagruppen gegeben, dass es lebenswichtig ist, in der Gefangenschaft nichts zu sagen, um die, die weiterkämpfen, zu schützen.«
    Soll das heißen, dass noch immer welche weiterkämpfen? Die Selbstüberhöhung wird noch gesteigert: »Für uns in der RAF [ist es] eine notwendige Bedingung gewesen, dass niemand Aussagen macht. Einen anderen Schutz gibt es nicht – für die Einzelnen im Knast, für die Gruppe draußen und für den illegalen Raum insgesamt, die Bewegung in ihm, die Strukturen und die Beziehungen. Aber auch so. Wir machen keine Aussagen, weil wir keine Staatszeugen sind, damals nicht, heute nicht.«
    Die ehemaligen RAF – Mitglieder wollen weiter an ihrem Schweigegelübde festhalten. Für sie gibt es keine persönliche Verantwortung der ehemaligen Täterinnen und Täter; es habe sich um eine Gruppenideologie gehandelt, die von allen getragen und von allen gewollt gewesen sei.
    Mit diesem Bild hatte meine Schwester allerdings in ihrem Prozess gründlich aufgeräumt. Es sei eine »stalinistisch« organisierte Gruppe gewesen. Man sei »rausgeschickt«, »geprügelt« worden, die unteren Chargen seien in die Entscheidungen nicht einbezogen worden: Dass RAF – Mitglieder … das Gegenteil behaupteten … von einheitlichem Kollektiv usw. sprachen, ist klar, weil das ihrem theoretischen Selbstverständnis und ihrem Anspruch entspricht (…) Dieses Verdecken der Tatsachen und sich an der Realität vorbeilügen entspricht auch dem Inhalt der gesamten »Politik« – hier wird propagandistisch versucht, eine … bruchlose Identität darzustellen … um sich propagandistisch günstig ins Licht zu rücken.
    Ich höre hier auf. Die Aussage meiner Schwester straft den – Jahre später verfassten – Brief von »einigen, die zu unterschiedlichen Zeiten in der RAF waren«, Lügen. Was ich allerdings an der Haltung, die dahintersteht, nicht verstehe: Dass diese Generation, die damals angetreten war mit der Anklage, dass die Naziverbrechen nicht aufgearbeitet wurden, dass die alten Täter auf den neuen Posten saßen, dass die Millionen von Leichen einfach ungesühnt vergessen werden sollten – dass diese Generation in Bezug auf ihre eigenen Verbrechen eine aktive Aufarbeitung verweigert.
    Viele Grüße,
    Julia

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Corinna Ponto
    »Die Opfer mahnen, dass eine offene Gesellschaft Gefährdungen ausgesetzt ist, und die Verpflichtung bleibt, Haltung für eine freiheitliche demokratische Grundhaltung zu zeigen beziehungsweise sie zu verteidigen. Zudem verpflichten die Opfer, die Werte eines freiheitlichen

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