Patentöchter
terroristischen Treiben.
Am 7. Oktober kamen zur Feier der DDR – Gründung die große Mannschaft der Führungsoffiziere und ihre terroristischen Schützlinge am luftigen Grillplatz draußen auf der großen Wiese zusammen. Oberst Jäckel hielt die Festrede. Anschließend konnte man dann auf der Bank am Rudersteg entspannen und in den weiten Himmel träumen, in der Ferne Jägerschüsse mit einem flachen Echo. Eine Idylle des Unheimlichen – der ganze Ort.
Hinter dem Haus liegen, heute mit einem kleinen angerosteten Vorhängeschloss versperrt, der ehemalige Ausbildungsschießplatz und das Übungsgelände für Sprengstoffattentate. Hier wurde auch Christian Klar an der Waffe ausgebildet.
Ich fragte am malerisch-verträumt schönen Rudersteg, die schneebepuderten Ruderboote im Rücken, eher so vor mich hin: War eigentlich schon einmal jemand hier? Da gab es doch vor dreißig Jahren in dem hochgelobten Episodenfilm Deutschland im Herbst die Geschichtslehrerin Gabi Teichert, die bedeutungsvoll mit dem Spaten nach der Geschichte grub. Wieso hat hier, an diesem Ort, niemand gegraben?
Ich machte mich auf, an anderer Stelle zu graben: Über Monate vertiefte ich mich zu Hause und im Lesesaal der Berliner Birthler-Behörde in die Akten der Hauptabteilung XXII des MfS.
Das »konspirative Objekt 74« in Briesen, das in den Dokumenten der Staatssicherheit auch den Decknamen »Falke« trug, befand sich seit 1974 in der Rechtsträgerschaft des MfS und wurde 1976 eingerichtet ( BS t U , AIM 264/91). Die Abteilung – zuletzt Hauptabteilung – XXII , zuständig für die Terrorabwehr, war zunächst als Arbeitsgruppe Antiterror gegründet worden. Der Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke, Generaloberst Bruno Beater, sagte in einer Ansprache vom April 1977 zu deren Aufgaben: » Die Notwendigkeit der seit 1975 schrittweise erfolgten Bildung dieser Diensteinheit und die Ziel- und Aufgabenstellung der Abteilung XXII ergeben sich aus der gegenwärtigen Entwicklung der Klassenkampfsituation.« ( BS t U , HA XXII 19086) »Niemals darf der Gegner nur den leisesten Verdacht auf die Existenz, Stärke, Ausrüstung und Aufgaben der Abteilung XXII erhalten.« ( BS t U , HA XXII 517/2)
In einer anderen Akte kann man ergänzend dazu lesen: »Aus Sicht des MfS nicht zugelassen werden darf, den Terrorismus losgelöst von der verdeckten Kriegsführung zu betrachten und umgekehrt.« ( BS t U , HA XXII 1841)
In einem der vielen Jahrespläne der Abteilung XXII findet man die »zentrale Planvorgabe für 1976 und [den] Perspektivplanzeitraum bis 1980 des Genossen Minister«. Darin ist festgehalten, dass bis um 31. August 1977 der »weitere Aufbau der Personenkerblochkarteien – DDR und West – mit rückwirkender Einspeicherung aller für die Diensteinheit bereits KK erfasster Personen« erfolgen sollte. ( BS t U , HA XXII 865/20)
» KK erfasste« Personen – » KK « steht für »Kerblochkartei« nach den Karteikarten, die mit einer Spezialzange eingekerbt wurden – waren zu diesem Zeitpunkt unter anderem Inge Viett, Günter Sonnenberg, Verena Becker und der eng mit dem KGB und der Stasi zusammenarbeitende international tätige Terrorist Carlos alias Ilich Ramírez Sánchez. Christian Klar und S. sind spätestens seit 1978 KK – registriert. Zudem sind fast alle genannten Terroristen in der VSH – Kartei gespeichert, der »Vorverdichtungs-, Such- und Hinweiskartei« der »konspirativ tätigen Diensteinheiten«.
In dieser Planvorgabe des Ministers findet sich auch folgendes Detail: »Es ist eine Arbeitsgruppe zu schaffen«, welche »eine Konzeption zur zielgerichteten Abschöpfung von Massenmedien des Operationsgebietes (Rundfunksendungen, Fernsehen, Presse u. Ä.) sowie zur analytischen Auswertungdieser Meldungen erarbeiten soll«. ( BS t U , HA XXII 865/20) Mit »Operationsgebiet« ist beim Vorgang »Stern« stets die Bundesrepublik gemeint.
Für die RAF hatte das MfS zwei »Operativvorgänge« ( OV ) angelegt. OV »Stern I« betraf die Ausbildung und Unterstützung noch aktiver RAF – Terroristen, »Stern II « die Betreuung und Unterbringung der »Aussteiger«. Von den 35 Aktenordnern, die es zu den Operativvorgängen » Stern I« und »Stern II « mindestens gab, existieren heute nur noch fünf. Alle anderen wurden während der Wende vernichtet oder beseitigt. Doch diese fünf Ordner bewahren die tarnwahnsinnigen Hieroglyphen einer fremden Welt. Wenn man genau hinschaut, kann man die schwer zu lesenden,
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