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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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Rechtsstaates zu vermitteln, vorzuleben und wach zu halten.«
    So sprach der Präsident des Deutschen Bundestages auf der Gedenkveranstaltung 30 Jahre deutscher Herbst im Deutschen Historischen Museum in Berlin . Das ist alles richtig und gut formuliert. Dennoch fühlen wir Angehörige der Opfer uns allein gelassen. Wo bleibt die historische Aufarbeitung dieser Zeit? Wir müssen uns inzwischen selbst auf den Weg machen, um auf falsche Darstellungen, auf Ungereimtheiten und Versäumnisse bei der damaligen Fahndungsarbeit hinzuweisen, wie dies Michael Buback in eindrucksvoller Detailarbeit geleistet hat. Statt Aufarbeitung ist bis heute Mythenbildung angesagt. Dem Staat scheint das nicht immer ganz ungelegen.
    Während ich den Rednern bei der Gedenkveranstaltung zuhörte, ging ich die Taten der RAF durch. »Unaufgeklärt«, vermerkte eine innere Stimme zu fast allen Verbrechen.
    Seit 1985 gibt es sogar keinen einzigen Fall mehr, bei demdie Täter bekannt wären.
    Viele Akten wurden bis zum Jahr 2040 gesperrt – manche sogar bis 2063.
    165 Meter Akten zu den Fällen Buback, Ponto, Schleyer wurden vernichtet.
    Hier geht es nicht um ein paar unaufgeklärte Kriminalfälle, sondern um das Tableau einer ganzen unaufgeklärten Zeit.

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Die Spur führt zur Stasi
Corinna Ponto
    Dieser Ort birgt einen Code … Fortwährend umkreiste mich dieser Gedanke, als ich versuchte, meine Eindrücke bei den Aufnahmen zu einer Fernsehdokumentation in Briesen Anfang Januar 2009 zu formulieren. Zum ersten Mal tauchte der refrainartige Gedanke bei der Anfahrt ins brandenburgische Briesen auf . Der Weg dorthin erschien endlos. Auf einer schnurgeraden Straße, gesäumt von schlanken, hohen Pinien und Tannen, führte er an das Ende des deutschen Waldes, fast bis an die polnische Grenze. Den flüchtigen RAF – Tätern kam der Weg damals vermutlich nicht zu lang vor. Ein Fluchtweg muss lang sein. Der Flüchtende hofft auf die Erschöpfung und Resignation des Verfolgers.
    Die DDR hatte internationale Konventionen gegen Terrorismus unterschrieben. Gleichzeitig aber versteckte die Staatssicherheit sogenannte Aussteiger-Terroristen im Forsthaus an der Flut in Briesen; das konspirative Objekt wurde zudem zur »Durchführung spezifisch-operativer und vorgangsbezogener Maßnahmen genutzt« – Stasi-Deutsch für die Ausbildung im Umgang mit Waffen und Sprengsätzen.
    Hier im DDR -Übergangsversteck lernte S. ihre neuen Papiere auswendig. Aus S. wurde Ingrid Jäger. »Ich, Ingrid Jäger, wurde am 10. April 1951 als erstes Kind meiner Mutter Ruth Jäger, geb. Walter, und meines Vaters Ernst Jäger in Madrid geboren.« Ihre Eltern seien nach Vancouver verzogen. Sie habe in der BRD keine Arbeit gefunden, deshalb lebe sie nun in der DDR .
    Das Fernsehteam legte mir S.’ Schreibübungen vor – bemühte, ordentliche Buchstaben –, die nach der Wende gefunden worden waren. Wir saßen im niedrigen Kellerraum des »Objekts«, eingezwängt in einer kleinen Sitzecke an einem Biertisch. Die Luft war dumpf, man konnte kaum atmen.
    Auf die Frage, was ich jetzt empfinde, sagte ich dem Fernsehteam: »Hier fächert sich der Betrug auf.« Die anschließenden Fragen konnte ich kaum noch beantworten – wir mussten die Aufnahmen ständig unterbrechen. Der niedrige Höhlenraum erdrückte mich. Es war mir peinlich. Die Sprachlosigkeit hatte mich wieder eingeholt.
    Wenn ich zu diesem Thema nach Gefühlen gefragt werde, ist mir augenblicklich, als hätte ich einen bleischweren Mantel an. Eigentlich bin ich lebenslustig und temperamentvoll. Muss ich über die RAF – Zeit reden, wird eine Opferhaltung von mir erwartet – ich erwarte sie fast selbst von mir. Da mein Charakter und die Opferrolle nicht zusammenpassen, verweigere ich mich. Ich hasse nicht die Täter, sondern die Rolle, in die sie mich gezwungen haben. Die Täter habe ich immer verachtet.
    Ich verstand mich gut mit dem Produktionsteam. Die Kamera folgte meinem Blick, der auf die bunten Bierkrüge und Schnitzereien an der Wand fiel. Die Holzlatte hinter der Sitzbank war abnehmbar. Dort waren damals die Abhörvorrichtungen untergebracht. Nicht nur die Abhörbänder von Stammheim, auch die aus Briesen wären bestimmt spannend. In geselliger Runde wurden hier Karten gespielt. Hier wurden Schnäpse ausgeschenkt, Späße gemacht, hier wurde gelacht und einander zugeprostet. Pläne geschmiedet. Erfüllte Pläne gefeiert? Mir kam Heinrich Heine in den Sinn : Der Deutsche, er wird gemütlich bleiben / Sogar im

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