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Patentöchter

Patentöchter

Titel: Patentöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Albrecht & Corinna Ponto
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mehrfach verschlüsselten Botschaften aus dieser fremden Welt jedoch entziffern.
    Man trifft auf deutsche Gründlichkeit und peniblen Bürokratengeist – und ein wohlkalkuliertes Spiel über die Grenze der Systeme hinweg. In den Akten werden das Beobachten und Gestalten der politischen Radikalisierung im Westen Deutschlands lustvoll bürokratisch dokumentiert. Im Hauptquartier der Staatssicherheit in Ostberlin wurden in dem einen Stockwerk die RAF – Mitglieder pro forma »gesucht«, während im darunterliegenden Stockwerk genau dieselben Führungsoffiziere, die ihre Unterschriften auf die Suchkarteien gesetzt hatten, dafür sorgten, dass sie versteckt bzw. an Waffen ausgebildet wurden.
    Diese MfS-Mitarbeiter setzten mehr als eine Dekade lang ihre Namen unter unendlich verschlungene Vertuschungsvorgänge. Nur die eigenen Namen haben sie nicht auch noch verschlüsselt. So stolpert man geradezu über die regelmäßig auftauchenden Namen der Führungsoffiziere: Zaumseil, Petzold, Kind, Voigt, Neiber, Dahl, Kurpat, Förster, Orzschig, Borostowski, Lindner, Jäckel …
    Sie gehören auf den Besetzungszettel dieser Geschichtszeit.

    Neben diesen Namen sind Rechnungsbelege erhalten. Zehntausende sind da pro Jahr ausgegeben worden. Operative Ausgaben und Auslagen für »operative Maßnahmen im Operationsgebiet«, für Reisen, für Gepäckaufbewahrung, für konspirative Objekte.
    Aus »Operativgeldabrechnungen« ( BS t U , HA XXII 19342) aus den Achtzigerjahren ergibt sich, dass den IM s, den inoffiziellen Mitarbeitern – darunter auch Inge Viett und das Ehepaar B. (S. und ihr Mann) – das Geld wahlweise in Ost-Mark oder D-Mark ausgezahlt werden konnte!

    Viele dieser Abrechnungen sind auf den Decknamen »Max Schubert« ausgestellt – dahinter verbarg sich S.’ Ehemann. Er war an der Akademie der Wissenschaften der DDR in der Kernforschung tätig und arbeitete für das MfS. Er war ein Auslandskader, in den Akten findet sich der Hinweis: »seit 1977 Kontakte ins NSW « – das bedeutete »nicht sozialistisches Wirtschaftsgebiet«. S. selbst firmierte als »Ernst Berger«.

    Auf den Abrechnungen liest man regelmäßig die Decknamen »Taler« und »Beate Schäfer«. »Taler« ist der seit den frühen Anfängen für die RAF tätige Rechtsanwalt Klaus Croissant, der als IMK , »inoffizieller Mitarbeiter zu Sicherung der Konspiration« ( BS t U , HA XXII 25224/91), auch unter dem Decknamen »Krieger« geführt wurde. Klaus Croissant war Verteidiger von Andreas Baader und Testamentsvollstrecker von Ulrike Meinhof. S. war 1976 in seinem Büro tätig. Nach Verurteilung und Haft begann er ab 1981 für das Ministerium für Staatssicherheit – direkt für Spionage-Generaloberst Markus Wolf – zu arbeiten.
    »Der Kommune bzw. dem Croissant-Büro gehörten vor ihrem Untertauchen die meisten der Teilnahme der Ermordung von Buback, Ponto und Schleyer verdächtigten frühen RAF – Mitglieder an«, steht in der MfS-Akte 16554, dazu die abgründige Information, dass dieses »Büro« von einem IM aus Washington eine Liste von 25 namentlich benannten CIA – Mitarbeitern erhalten habe. Wie weltumspannend muss dieses mehrdeutige Büro Croissant vernetzt gewesen sein!
    Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Brigitte Heinrich alias »Beate Schäfer«, die schon 1970 in Jordanien bei der PLO eine Terrorschulung erhalten hatte und zu einem Jahr und neun Monaten Haft verurteilt worden war, nachdem sie Handgranaten und Tretminen in die Bundesrepublik transportiert hatte ( BS t U , HA XXII 1841), stand dieser bekannte RAF – Jurist noch bis in das Jahr 1989 auf der Gehaltsliste der uns vertrauten Führungsoffiziere. Brigitte Heinrich war während ihrer gut dotierten Spitzelzeit für das MfS als Journalistin in Westberlin tätig und saß bis zu ihrem Tod 1987 als Abgeordnete der Grünen im Europaparlament.
    Klaus Croissant wiederum war in den Achtzigern ein wichtiger Verbindungsmann zu den Cellules Communistes Combattantes in Belgien und der französischen Action directe. Beides Organisationen, auf deren Konto viele Anschlägegingen. Ein gut dokumentiertes Terrorpaar, diese beiden IMB – »inoffizielle Mitarbeiter zur Bearbeitung im Verdacht der Feindtätigkeit stehender Personen« – der Stasi.
    In der IMB – Akte über Brigitte Heinrich heißt es: »Politisch steht der IM fest auf der Seite des Sozialismus. Brigitte Heinrich verfügt über zahlreiche nationale und internationale Verbindungen innerhalb der antiimperialistischen Bewegung. 1983

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