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Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Brodrick
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herum …«
    Nick verpasste die Einzelheiten über Gewicht, Kunststoffreifen und Geschwindigkeit. Er schaute unentwegt auf das majestätische London, das sich unter ihm ausbreitete. Er setzte sich und suchte St. John’s Wood, das im Dunst drohenden Schneefalls dalag. Mit alarmierendem Rucken begann der Boden, sich zu bewegen.
    Von diesem Vorortturm sah Nick die Ereignisse der letzten Zeit wie losgelöst. Es war beruhigend; es war eine Wohltat. Er lauschte und schaute zu, während die Welt sich zu drehen schien. Da Reginald ein Gespür für besondere Momente hatte, hielt er respektvoll Abstand.
     
    »Wir hatten einen Streit, der sich lange hinzog«, hatte Charles zugegeben und klirrend Eisstückchen in einen weiteren Scotch fallen lassen. Nach dem Besuch bei Dr. Okoye hatte Elizabeth Nick von Riley und seinem Platz in ihrem Leben erzählen wollen.
    »Ich wusste nichts von ihrer Herzkrankheit«, sagte Charles und reichte Nick ein Glas. »Deine Mutter sagte nur, es sei vielleicht an der Zeit, sich zur Ruhe zu setzen, das ganze Hin und Her würde allmählich ein bisschen zu viel für sie.«
    Mann und Frau spielten mit dem Gedanken, alles zu verkaufen und sich in Saint Martin’s Haven niederzulassen. Auf Elizabeth’ Anregung sprachen sie über alles, worin sie sich einig waren, bis Charles merkte, dass sie ihn herumzukriegen versuchte. Er schnippte mit den Fingern und sagte: »Nein.« Er war gegen jede Enthüllung der Vergangenheit, nicht weil er sich geschämt hätte, sondern weil er Angst hatte: um Nick.
    »Du brauchtest es nicht zu erfahren.« Er zog die Schultern hoch und kniff die Augen zusammen. »Es wäre ein Schock für dich gewesen. Du warst so behütet. Und was spielte es schon für eine Rolle? Sie hatte es wunderbar weit gebracht.«
    Das Wort behütet ärgerte Nick. Es war erniedrigend. Es beinhaltete eine Art Mitleid, das eine bestimmte Einschätzung verriet: Es stutzte die Liebe zurecht – denn da Nick nicht alles gewusst hatte, hatte er auch nicht alles geliebt. Er hatte nur partiell geliebt. Sein Vater erkannte nicht, dass Nicks Herz größer war als seine Bedürfnisse oder Erwartungen; dass die Frau seiner Träume Sonja, die Prostituierte aus Schuld und Sühne war. Aber das hatte er nicht ausgesprochen.
     
    Plötzlich stöhnte die Drehplattform auf ihren Schienen und ließ Nick erschrocken zusammenzucken. Er ließ den Blick schweifen und entdeckte die Isle of Dogs, wo aus dem Nebel der Canary Wharf Hochhausneubauten wuchsen. Schaudernd wanderte Nicks Blick weiter nach Osten zu Dingen, die er kannte, die aber außer Sichtweite waren, zu Hornchurch Marshes und den Four Lodges. Er dachte an den kalten Wind, den kleinen rasierten Kopf, den Schein der Taschenlampe; und er hörte wieder das entnervende Mitleid in dieser Stimme.
    Nicks Eltern hatten ihren Streit nie ganz beigelegt, aber in der ersten Runde hatte Charles einen Punktsieg errungen. Während Elizabeth Nick gedrängt hatte, sich eine Praxis in Primrose Hill zu suchen, war Charles für bezahlten Müßiggang in Australien eingetreten. (Er wollte seinen Sohn aus dem Weg haben, während Elizabeth hinter Riley her war. Falls nichts dabei herauskommen sollte, bliebe Nick unbeschadet. Sollte eine Verhaftung unmittelbar bevorstehen, könnte man die Angelegenheit vielleicht noch einmal überdenken.)
    Das Wort »unbeschadet« ärgerte Nick ebenfalls, weil es das Pendant zu »behütet« war.
    Die zweite Runde fing mit den Briefen an, die Elizabeth Nick schrieb, liebevollen, melancholischen Lockrufen, worauf Charles (der die Strategie ahnte) mit weiteren Verlockungen von Ferne und Abenteuer konterte. Das war eine subtile List, denn Charles nutzte aus, was Vater und Sohn verband: der Traum von Eskapaden und fremden Gefahren.
    »Am Ende war sie mir einige Schritte voraus«, sagte Charles liebevoll und verschüttete Whisky, als er aus der Karaffe nachschenkte. Er war müde, hatte die Ärmel aufgekrempelt und die karierte Krawatte schief hängen. »Ich wusste nichts von dem Schlüssel oder von Pater Anselms Rolle als ihr ahnungsloser Ersatzmann.« Er stockte, als schäme er sich über den vorwurfsvollen Unterton in seiner Stimme, den Anflug von Groll. »Um deinetwillen hatte ich gehofft, diese Sache würde an dir vorbeigehen; was ja immer noch möglich ist.«
    »Um deinetwillen«, wiederholte Nick leise. »Was ja immer noch möglich ist?«
    »Lass uns zur Normalität zurückkehren«, bat Charles ihn plötzlich inständig. »Lass uns … lass uns nach Skomer

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