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Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Brodrick
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zurück auf ihr Leben, die vielen Mühen, die zu nichts geführt hatten. War das wirklich die Goldene Regel: Immer wieder eine neue Kerze anzuzünden, obwohl das Wachs jedes Mal dahinschmolz? Weiter zu hoffen, trotz allem? Mit einem Geständnis versuchte sie, sich wieder in den Griff zu bekommen: »Sie haben eine Plastiktüte mit Heften hiergelassen. Ich fürchte, ich habe ein bisschen darin gelesen.« Um zu zeigen, dass sie das Unrecht wiedergutgemacht hatte, fügte sie rasch hinzu: »Ich habe nur erlaubt, sie Ihrer Frau zu bringen.«
    Zuerst antwortete Mr. Bradshaw nicht – er nickte beim ersten Teil und schüttelte beim zweiten den Kopf, was Nancy so auffasste, dass das eine das andere aufwog wie in der Buchführung bei Lawtons –, aber dann sagte er: »Ich hoffe, Emily liest sie.«
    Mr. Bradshaw schlug sich mit beiden Händen auf die Knie, stand auf und sagte: »Also, dann mache ich mich mal besser auf die Socken.«
    »Wohin?«, fragte Nancy und wunderte sich über ihren besorgten Ton.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Waren Sie schon mal in Brighton?«, platzte sie heraus.
    »Nein«, sagte Mr. Bradshaw und überprüfte seine Knöpfe, »aber ich habe von der Seebrücke gehört.«
    »Es gibt zwei«, stammelte Nancy. »Die West Pier, die ins Meer fällt, und die Palace.« Sie wollte es mit ihm teilen, so lange es noch schön war, bevor es sich veränderte. Sie rasselte alles herunter wie eine Fremdenführerin und erzählte Mr. Bradshaw, was sie ihm schon oft erzählt hatte. Er hörte immer wieder zu, als ob alles neu und frisch für ihn wäre.
    »Ich war jeden Sommer da mit Mum und Dad und Onkel Bertie. Nachdem ich geheiratet hatte, sind wir nicht mehr hingefahren. Da gibt es alles Mögliche … Zauberer, Jongleure … eine Riesenrutschbahn … einen Uhrenturm … und ganz am Ende einen Rummelplatz mit einer Geisterbahn. Wir sind spazieren gegangen, haben Zuckerstangen gegessen und in einarmigen Banditen Pennys verspielt. Aber am besten hat mir das Meer gefallen, mal grau, mal blau, ganz weit und einsam. Vor Jahren habe ich gehört, dass da alles langsam verfällt … genau wie ich.« Lächelnd schaute sie auf ihre Beine mit den dicken Venen unter der Strumpfhose. »Aber sie haben alles komplett renoviert. Heutzutage gibt’s die Liegestühle umsonst.«
    »Herrlich«, flüsterte Mr. Bradshaw und setzte sich wieder.
    Tollkühn, aber fest entschlossen fragte Nancy: »Möchten Sie Urlaub am Meer machen?«
    Mr. Bradshaw willigte mit einer Entschiedenheit ein, die seine Verwunderung über ihr unverblümtes Angebot weit überstieg. Nancy zeichnete ihm eine Wegbeschreibung am Limehouse Cut entlang zu dem vereinbarten Treffpunkt auf. Daneben schrieb sie die Uhrzeit, wann er da sein sollte, und gab ihm ihre Armbanduhr. Die ganze Zeit nickte er ungeduldig, als ob solche Kleinigkeiten ein Kinderspiel wären. Als Mr. Bradshaw fort war, dachte Nancy zärtlich: Das Gute an Menschen, die ihr Gedächtnis verloren haben, ist, sie sind es so sehr gewohnt, Antworten zu vergessen, dass sie nicht zu viele Fragen stellen. Und das war hilfreich, denn Mr. Bradshaw hatte nicht gefragt, was Mr. Riley von ihrer Einladung halten würde; oder was Nancy mit den Möglichkeiten, die ihr blieben, anzufangen gedachte; oder wie sie ebenfalls den Weg zu Gnade oder Vergeltung einschlagen könnte. Nancy hätte wahrhaftig lange gebraucht, das zu erklären.

3
    VIELLEICHT HATTE NICKS Vater eine Andeutung fallen gelassen wie: »Er wird mit dem Tod seiner Mutter nicht fertig. Er könnte eine Abwechslung vertragen … etwas, was ihn ein bisschen aus sich herausholt.« Vielleicht war es aber auch nur Großzügigkeit. Jedenfalls hatte der rundliche Abteilungsleiter der British Telecom – den er zuletzt bei der Beerdigung hatte Sherry trinken sehen – Nick etwas ganz Besonderes angeboten, was der breiten Öffentlichkeit seit Ewigkeiten verwehrt war: einen Blick vom BT Tower. Der leitende Angestellte hieß Reginald Smyth.
    »128 Meter hoch«, sagte er ehrfürchtig im 34. Stock.
    »Schwankt bei starkem Wind um zwanzig Zentimeter.«
    Reginald war ein plumper, schwerfälliger Mensch mit lebhaften Augen und mitleidiger Art. Er hatte sämtliche Haare verloren bis auf zwei Büschel weißer Löckchen über den Ohren. Er stand mit gefalteten Händen da und verkündete Fakten, als könnten sie den Mühseligen und Beladenen Trost spenden. »Wie Sie sehen, gibt es keine Mauern, nur Fenster. und der Boden dreht sich natürlich, in zweiundzwanzig Minuten einmal ganz

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