Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten
Erfahrungen profitieren wollte. Er sagte zu Mrs. Dixon: »Was ist mit Walter passiert?«
»Wir waren oben an der Treppe«, antwortete sie, als würde sie einem Polizisten eine Aussage diktieren. Sie schaute geradeaus und hielt den Rücken gerade. »Es hatte viel Geschrei gegeben. Er holte aus, kippte aber auf der Stufe nach hinten und fiel um wie ein Baum. Ich fiel nach hinten, als ich versuchte, das Gleichgewicht zu wahren, darum habe ich es nicht gesehen; ich hörte ihn nur hinunterfallen, und dann, nach einer Sekunde oder so, einen Schlag. Als ich nachschaute, lag er wie ein großer Haufen auf dem Boden. Ich rief den Krankenwagen, und sie brachten ihn weg, aber er war tot.«
»Das tut mir leid«, sagte Anselm.
»Das braucht es nicht«, antwortete sie. »Ich war erleichtert … froh, dass er weg war.«
Mrs. Dixon starrte wieder vor sich hin und erzählte weiter, was sie sich zu sagen vorgenommen hatte: die Enthüllung einer Lüge. Wieder wirkte sie, als gebe sie etwas zu Protokoll.
»Etwa eine Woche später klopfte ein Polizist an der Tür. Er kannte Walter. Er wusste von seinen Launen und der Gewalttätigkeit. Er sagte mir, der Doktor hätte eine lange Kopfwunde gefunden. Er untersuchte die Treppe. Er maß eine Stufe und ihre Kante. Ich sagte nichts von dem Schlag, den ich nach dem Fall gehört hatte, dass Graham unten war, dass der Schürhaken fehlte. Nach einiger Zeit kam die Polizei zu dem Schluss, dass es ein Unfall war. Aber mein Sohn hatte aufgehört zu essen. Er war krank. Eines Abends hielt ich seine Hand und fragte ihn, ob er den Schürhaken gesehen habe. Er zog seine Hand weg, versteckte sie unter einem Kissen und sagte: ›Ich habe ihn in die Four Lodges geworfen.‹ Am nächsten Tag war er verschwunden. Er war siebzehn. Seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen. Alle haben gesagt, er ist weggegangen, weil er seinen Dad verloren hat.«
Bunhill Fields ist ein wunderbarer Ort, dachte Anselm, der dieser Treppe und diesem Flur entfliehen wollte. In ihrem Schatten und Blut musste der Pieman Gestalt angenommen haben: ein Name, der von der Verachtung anderer geprägt war, Wut und Misshandlungen bezeichnete, Riley nichts anhaben konnte, aber dräuend über denen schwebte, die er terrorisieren würde. Elizabeth war durch dieselben Flure, dieselben Schatten gegangen. Anselm spürte ihre Gegenwart. Sie hatte ein zartes Parfüm getragen, das offenbar nicht schwächer wurde. Sie war immer sehr sauber gewesen, hatte streng geschnittene Kleider und eine penible Frisur getragen.
Elizabeth gab sich die Schuld daran, dass Graham weggelaufen war und Walter ihn so schlecht behandelt hatte. Und Mrs. Dixon gab gegen ihren Willen Elizabeth die Schuld: Sie sagte zwar kein einziges Wort, zeigte es aber in unzähligen Verhaltensweisen. An einem kalten Abend machte Elizabeth ein Feuer an. Sie suchte den Schürhaken und fragte ihre Mutter, wo er sein könnte.
»Graham hat ihn weggeworfen.«
»Warum?«
Mrs. Dixon beantwortete die Frage nicht direkt. Das überließ sie dem Schweigen. Einen Monat später war Elizabeth fort. Alle sagten, sie sei gegangen, weil sie ihren Vater und ihren Bruder verloren hatte.
Was als Nächstes passiert war, wusste Anselm. Schwester Dorothy war zu Mrs. Steadman nach Hause gekommen. Ihr herzzerreißender Entschluss, das zu tun, was Elizabeth wollte, fiel auf der Stelle. Mutter und Tochter hatten sich ohne Worte geeinigt, einen Mord zu vertuschen: So etwas ging nicht, wenn man unter einem Dach lebte.
»Vor einem Jahr habe ich meine Tochter zum ersten Mal wiedergesehen«, sagte Mrs. Dixon emotionslos und mit sorgfältiger Aussprache. »Sie hat mich über meine Versicherungsnummer ausfindig gemacht, weil ich wieder geheiratet hatte … einen wunderbaren Mann, der den Kindern eines jeden ein wunderbarer Vater hätte sein können.« Mrs. Dixon schluckte und machte dann weiter.
Elizabeth hatte erfahren, dass sie an einer erblichen Herzkrankheit litt. Mrs. Dixon ließ sich von Dr. Okoye untersuchen, die sie für gesund erklärte. Offenbar hatte der große, stramme Walter ein schwaches Herz. Aber das war nicht der Grund, weshalb Elizabeth gekommen war.
»Sie erzählte mir, dass Graham ein neues Leben angefangen hatte«, sagte Mrs. Dixon, »aber kein schönes.«
Nicht zum ersten Mal wunderte Anselm sich über das Wörtchen »schön« und die erstaunlichen Verwendungszwecke, die es oft fand.
»Sie erzählte mir, der einzige Weg, ihn zu retten, wäre, ihn vor Gericht zu bringen, um ihn für
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