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Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten

Titel: Pater Anselm Bd. 2 - Die Gärten der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Brodrick
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den Mord an ihrem Vater zur Rechenschaft zu ziehen. Es ging ihr nicht um Rache, das war mir klar. Sie redete darüber … was richtig ist. Aber ich weigerte mich.«
    »Warum?«
    »Wenn überhaupt jemand schuld war, dann nicht Graham oder Elizabeth, sondern ich. Ich habe ihn nicht beschützt. Ich dachte, wenn ich bei Walter bliebe, würde er vielleicht wieder so werden wie früher – so, wie er zu Elizabeth war –, dass seine Wut verrauchen würde, dass er aufwachen und sehen würde, dass Graham … anders ist, ja, aber keine Bedrohung. Ich bin diejenige, die Graham den Schürhaken in die Hand gelegt hat. Das Einzige, was ich je zu ihm gesagt habe, war, dass Walter seine Launen hat.«
    Die Stille von Bunhill Fields füllte die Pause. Nichts regte sich, nicht einmal die Bäume, die so voller Leben waren. Es war merkwürdig.
    »Elizabeth kam jede Woche und versuchte mich zu überreden. Ich weigerte mich. Dann, an dem Tag, an dem sie starb, erhielt ich ihren letzten Anruf und hörte ihre letzten Worte.«
    »Die Zeit der Lüge ist vorbei«, sagte Anselm zu sich. Im Stillen fügte er die letzte Nachricht hinzu, die sie unmittelbar vorher Inspector Cartwright hinterlassen hatte: Überlassen Sie es Anselm.
    »Mrs. Dixon«, sagte Anselm, »Ihnen ist sicher klar« – er sah sie nicken, weil Elizabeth es ihr wohl schon gesagt hatte –, »dass ich die Polizei informieren muss. Man wird Sie vernehmen. Graham wird wegen Mordes angeklagt. Es kann gut sein, dass Sie wegen Ihres Schweigens ebenfalls angeklagt werden. Ist Ihnen das klar?«
    »Ja«, antwortete sie, als ob sie schon vor Gericht stünde.
    Anselm schaute sie voller Mitgefühl an und sagte: »Wieso haben Sie es sich anders überlegt?«
    »Weil ich meinen Enkel Nicholas kennen gelernt habe«, sagte Mrs. Dixon trotzig und stolz. »Und ich will nicht, dass sein Leben auf einer Lüge aufbaut – auf falschen Vorstellungen, wer er ist und woher er kommt – wie bei Graham. Eines Tages könnte er die Wahrheit über seine Familie erfahren. Ich glaube nicht, dass er seiner Mutter dankbar wäre für die Geschichte, die sie erfunden hat. Genau das wollte sie natürlich von mir, verlangte sie von mir. Ich wusste nicht, warum, bis ich Nicholas sah … Er sieht aus wie Walter.«
     
    Anselm nahm Mrs. Dixons Arm, und sie gingen langsam wie Mutter und Sohn über den Friedhof Bunhill Fields. In ihrem gemeinsamen Schweigen dachte Anselm an Rileys frühe Jahre, an unentdeckten, vergessenen Mord und daran, was das alles aus einem Menschen machen konnte. Und er dachte an Bunyan, dessen Jugend durch vier Hauptsünden besudelt war: zu tanzen, die Glocken der Pfarrkirche zu läuten, Mikado zu spielen und die Geschichte von Sir Bevis of Southampton zu lesen.

6
    SCHON DEN VIERTEN Tag in Folge bestellte George sich ein ausgiebiges englisches Frühstück (mit Cumberland-Würstchen). Nancy entschied sich für den Kipper (aus Craster) und erklärte: »Man lebt nur einmal«, was sehr wahr war. Sie saßen an einem Erkerfenster des Hotels mit Blick auf die schaumgekrönten Wellen. Weit draußen flogen verrückte Möwen auf und nieder wie Drachen. Es sollte wieder ein herrlicher windiger Tag werden.
    Die Eintragungen in Georges Notizbuch hätten ihm gesagt, dass Nancy 36420,22 Pfund von Rileys Bankkonto abgehoben hatte, dass sie in Brighton zwei gegenüberliegende Zimmer (mit Vollpension) für eine Woche gemietet hatte und dass sie bei Woolworths zwei Packungen Briefumschläge zum Preis von einer erstanden hatte. Von ihrem komischen Projekt wusste er allerdings auch ohne Erinnerungsstütze, ebenso wie ihm niemand Nancys Entsetzen und Schuldgefühle über alles, was Riley getan hatte, und ihre Zerknirschung über Johns Tod erklären musste. Das stand ihr, wie man so sagt, ins Gesicht geschrieben. Selbst bei aller Fantasie konnte man ihr keinen Vorwurf daraus machen. Trotzdem hatte Nancy an ihrem ersten Abend bei Hereford-Rind mit Yorkshire Pudding erklärt: »Ich teile die Schuld, weil ich die Schande teile« – ein Satz, der wehtat, denn er zeigte, dass Nancy sich Vorwürfe machte, weil sie gewusst hatte, wie ihr Mann war, aber die Augen davor verschlossen hatte.
    Nach dem Frühstück bereiteten sie die Briefumschläge vor, zogen ihre Mäntel an und machten sich an die Arbeit. Sie schlenderten über die Strandpromenade.
    »Wie wär’s mit der da«, fragte Nancy.
    George nickte.
    Ihnen kam eine junge Frau entgegen, die einen Kinderwagen gegen den Wind stemmte. Ihre Knöchel waren blau. Nach dem

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