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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Albrecht
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und baute nebenher eine Schmerzambulanz auf. Bald strömten Patienten aus ganz Thüringen in seine Sprechstunde, dann auch aus Bayern und Norddeutschland.

    Wäre der Mensch ein Staat, dann wären die Nervenbahnen, die ihn zur Wahrnehmung von Schmerz befähigen, Teil seines Polizeiapparats und dort zuständig für interne Kommunikation. Wird der Körper bedroht, ist der Schmerz das Signal, das ihn in Alarmbereitschaft versetzt. Das ist seine Funktion, sonst nichts.
    Der für die Schmerzwahrnehmung zuständige Teil des Nervensystems funktioniert völlig autonom – ein Staat im Staate. Die einfachen Schutzpolizisten sind Nervenendigungen in der Haut und den inneren Organen, ausschließlich zuständig für die Wahrnehmung von Schmerz, Hitze und Kälte. Sie melden jeden Angreifer an die höheren Polizeibeamten im Rückenmark – Nervenzellen, die als Schaltstellen fungieren und über mehr Informationen verfügen. Sie wissen, was sonst los ist in dem betroffenen Organ, und entscheiden erst dann, ob eine Alarmmeldung an die leitenden Offiziere im Zwischenhirn weitergegeben werden soll, wo das Gefühlszentrum liegt. In Notsituationen entscheiden die Polizisten, erst später zu melden – zum Beispiel, wenn der Mensch sich auf der Flucht befindet und angeschossen wird. Schmerzen wären dann sehr hinderlich. Damit das funktioniert, haben Nervenzellen Andockstellen, über die körpereigene Mediatorstoffe, aber auch bestimmte Medikamente anheften. Sie hemmen die Weiterleitung der Schmerzreize.
    Gelangt die Meldung weiter nach oben ins Gefühlszentrum, nehmen dort die höheren Offiziere ihrerseits eine Bewertung vor. Sie wissen aus ihren Informationsquellen zum Beispiel, ob ein Mensch heiß badet und die gemeldeten Hitzereize aus der Peripherie deshalb zu ignorieren sind.
    Nur im wirklichen Notfall sollten sie das Großhirn informieren. Aber wie das so ist mit autonomen Machtapparaten, streben die Offiziere ständig danach, ihr Einflussgebiet auszudehnen, zum Wohle des Staates – sie tun ja nur Gutes, erhöhen die allgemeine Sicherheit. Wenn sie zu großen Einfluss auf das Großhirn bekommen – zum Beispiel nach einer schweren Verletzung oder einem chirurgischen Eingriff –, errichten sie einen Polizeistaat, und der Körper folgt künftig ganz dem Diktat des Schmerzes.

    Ute Köhlers älterer Sohn, Torsten, erinnerte sich kaum mehr an seine Mutter vor der Krankheit. Im Sommer 1985 – er war in der zweiten Klasse, sein Bruder ein Jahr alt – verschwand sie für längere Zeit im Krankenhaus. Als sie zurückkam, sah er im Bad ihre frische Narbe, sie zog sich vom Bauchnabel bis unter den Slip. Die Gebärmutter war ihr herausgeschnitten worden, Krebs. Von der Vagina war nur noch ein Stumpf übrig. Danach war sie bestrahlt worden. In den Jahren danach fühlte sie sich oft so erschöpft, dass sie morgens kaum aus dem Bett kam oder tagsüber stundenlang liegen musste – viele Krebspatienten leiden nach einer Operation unter einem chronischen Erschöpfungssyndrom. Heute ist es Gegenstand der Forschung, damals war nichts darüber bekannt. Immer öfter peinigten Ute Köhler auch Bauchkrämpfe, die stundenlang anhielten. Sie fand Blut in der Toilette und ihrem Slip. Spätfolgen der Strahlentherapie in den Schleimhäuten von Darm und Blase – die Adern und die Millionen kleiner Nervenendigungen dort waren dauerhaft geschädigt. Die Familie ertrug es; immer noch lebten sie damals ein weitgehend normales Leben und leisteten sich im Sommer Urlaub am Plattensee in Ungarn.
    Schlimmer wurde es, als Ute Köhler 1994 ein zweites Mal operiert werden musste. Eine apfelsinengroße Eierstockgeschwulst hatte auf ihre Blase gedrückt, sie hatte ständig quälenden Harndrang verspürt. Nach dem Eingriff trat der Arzt mit sorgenvoller Miene an ihr Krankenbett. Er habe die Geschwulst zwar entfernen können, dafür aber den Bauch weiträumig öffnen müssen. Alles sei vernarbt, die Blase geschrumpft und verhärtet. Der Harndrang blieb. Die Gänge zum Klo brachten keine Erleichterung, sie konnte nur wenige Tropfen lassen, die leeren Harnwege verkrampften sich, es fühlte sich an, als würden Stromstöße durch ihren Unterleib fahren. Wie eine große offene Wunde empfand sie ihren Unterleib, manchmal war es so schlimm, als würde ihr jemand ein Messer hineinrammen. Nachts hörte Torsten die Dielen knarzen, wenn sie rastlos umherschlich, dann das Rauschen der Toilettenspülung, eine Stunde später das Gleiche wieder.
    Torsten ging damals beim

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