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Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition)

Titel: Patient meines Lebens: Von Ärzten, die alles wagen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Albrecht
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verursachen aber schwere Erkrankungen bei HIV-Infizierten oder Krebspatienten. Diese Infektionen werden »opportunistisch« genannt, weil sie von der Gelegenheit profitieren, um sich auszubreiten. Auch einige Pilze sind bekannt dafür.

    Siegmar Reinert hatte Studien, Übersichtsarbeiten und Lehrbücher gewälzt. Er glaubte, an jeden Pilz gedacht zu haben, der dafür bekannt war, Krankheiten auszulösen, als der Pathologe ein Wort einwarf, das Reinert noch nie gehört hatte: »Mucor« – diese Hyphen, die ich unter dem Mikroskop gesehen habe, wären vereinbar mit einer Mucormykose«. Der Begriff fand sich nicht mal als Randnotiz im größten deutschsprachigen Lehrbuch der Dermatologie mit 1500 Seiten – ein schlechtes Zeichen, dachte Reinert, als er sich erneut daranmachte, nach Fachartikeln zu suchen.
    Pilze der Gattung Mucor, auch »Köpfchenschimmel« genannt, kommen überall in der Natur vor, las er. Sie finden sich im Boden, auf Obst, Gemüse, Brot und Zucker. Menschen atmen Mucor-Sporen mit der Umgebungsluft ein, sie lassen sich in der Nasenschleimhaut von Gesunden häufig nachweisen.
    Zwischen den Jahren 1979 bis 1991 waren zehn Menschen in Deutschland an Mucormykosen des Kopf- und Gesichtsbereichs erkrankt. Reinert las die Einzelfallberichte: Immer war die Infektion auf dem Boden eines Krebsleidens oder einer entgleisten Zuckerkrankheit entstanden. Seltsam. Seine Patientin litt weder an dem einen noch an dem anderen, das hatten sie längst untersucht.
    Mucor-Pilze verursachen Verstopfungen in den Adern, las Reinert weiter – und plötzlich durchfuhr ihn eine Erkenntnis: Die Nekrosen, die schwarzen Stellen, sie waren das Ergebnis von Gefäßverstopfungen in der Haut!
    Gegen Mucormykosen wirkt nur ein einziges Mittel: Amphotericin B. Es gab Lutschtabletten, Salben und Cremes, aber die wären bei diesem Ausmaß der Infektion wirkungslos. Das Mädchen müsste Infusionen bekommen. Und in dieser Form war Amphotericin B gefürchtet wegen seiner schweren Nebenwirkungen, es galt als Mittel der letzten Wahl.
    Reinert würde es nicht allein entscheiden.

    Als sie in großer Runde diskutierten, wollten einige Kollegen noch die Ergebnisse aus dem Speziallabor in den Niederlanden abwarten. Schließlich waren nur »Hyphen« gefunden worden, die Diagnose Mucor war nicht gesichert.
    Die einzige Alternative jedoch erschreckte alle: Radikaloperation. Große Teile der linken Gesichtshälfte müssten entfernt werden, in die der Gewebefraß möglicherweise schon vorgedrungen war – um sicherzugehen, dass er nicht zurückkam. Jochbein, Augenhöhle, Teile des Oberkiefers. Was das für ein junges Mädchen bedeuten würde, wagte sich niemand auszumalen. »Lasst uns die Amphotericin-B-Infusion versuchen«, sagte Reinert.

    Anfang Dezember 1991 verstand Gül, dass niemand mehr Angst hatte, sich an ihrer Krankheit zu infizieren. Zuerst hatten die Krankenschwestern und Ärzte aufgehört, sich zu vermummen, bevor sie ihr Zimmer betraten. Jetzt wurde sie auf eine neue Station verlegt, wo neben ihr eine alte Frau lag – kein Einzelzimmer mehr. Nierenabteilung, hatte der Arzt mit den sanften Augen ihr erklärt. Die Infusion, die sie seit vielen Wochen bekam und die man mit Alufolie vor Sonne und Licht schützen musste, habe ihre Nieren in Mitleidenschaft gezogen.
    Die alte Frau versuchte immer wieder aufs Neue, sie in ein Gespräch zu verwickeln, egal, wie oft Gül ihr mit hilflosen Gesten bedeutete, dass sie nichts verstand. Eines Abends deutete die Frau auf Güls Pantoffeln und dann zur Tür. Pantoffeln vor die Tür stellen? Gül konnte sich nicht vorstellen, wozu das gut sein sollte. Als sie am nächsten Morgen auf die Toilette wollte, waren die Pantoffeln nicht da. Die Frau wies mit wilden Gesten auf die Tür. Dort standen sie, gefüllt mit Schokolade und einem kleinen roten Nikolaus.
    An Weihnachten brachten die Krankenschwestern eine Kerze ins Zimmer und überreichten Gül zwei Pakete, umhüllt von verziertem rotem Papier. Im einen fand sie einen Walkman, im anderen einen Deutschkurs, drei Kassetten und Lehrbuch, auf Deutsch und Türkisch. Es war Hörstoff für die kommenden Monate, Gül hörte sich die Kassetten wieder und wieder an, arbeitete das Lehrbuch durch.
    Sie wollte nicht wieder zurück in die Türkei, wenn die Krankheit irgendwann vielleicht überstanden wäre. Sie wünschte sich sehr, dass dieses Land ihre neue Heimat würde. Im Lehrbuch lernte sie zwei Wörter, die für jene Eigenschaften standen, die Deutschland

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