Patria
viele Verstecke gab es also nicht.
Die Bücher auf den Regalen erregten Stephanies Aufmerksamkeit. Daley schien politische Abhandlungen zu lieben, denn er hatte an die hundert Bücher über politische Fragen. Taschenbücher und gebundene Bücher standen wild durcheinander, und viele Buchrücken hatten Kniffe und Falten, was darauf hindeutete, dass Daley die Bücher wohl auch gelesen hatte. Stephanie schüttelte den Kopf. »Warum liest ein Insider des modernen Politikbetriebs all diese Bücher tatsächlich Seite für Seite durch?«
»Warum verachtest du ihn eigentlich so?«
»Weil ich nach Begegnungen mit ihm immer das Gefühl hatte, dass ich sofort unter die Dusche muss. Außerdem hat er vom ersten Tag an versucht, mich aus dem Amt zu katapultieren.« Sie hielt inne. »Und das ist ihm ja schließlich auch gelungen.«
Plötzlich hörten sie einen Schlüssel in der Haustür.
Stephanies Kopf fuhr herum. Sie starrte durch den Flur zum Vordereingang des Hauses.
Die Tür ging auf. Sie hörte Larry Daley und noch jemand anderen. Eine weibliche Stimme.
Heather Dixon.
Stephanie gab Cassiopeia einen Wink, und sie schossen durch den Flur in ein Gästezimmer.
»Ich muss erst mal die Alarmanlage ausschalten«, sagte Daley.
Ein paar Sekunden herrschte Stille.
»Komisch«, sagte Daley dann.
»Probleme?«
Stephanie fiel siedend heiß ein, dass sie vergessen hatte, die Alarmanlage nach ihrem Eindringen wieder einzuschalten.
»Ich bin mir sicher, dass ich die Alarmanlage eingeschaltet habe, als ich aus dem Haus gegangen bin«, sagte Daley.
Einen Moment lang herrschte Stille, und dann hörte Stephanie das leise Klicken einer Pistole.
»Schauen wir uns doch einfach mal um«, sagte Dixon.
46
Lissabon
15.30 Uhr
Malone betrachtete das Kloster Santa Maria de Belém. Pam, Jimmy McCollum und er waren von London nach Lissabon geflogen und hatten am Flughafen ein Taxi zum Fluss genommen. Lissabon erstreckte sich über mehrere Hügel, die auf die meeresähnliche Tejo-Mündung hinunterblickten. In der Stadt gab es viele breit angelegte, symmetrische Boulevards und hübsche, von Bäumen begrünte Plätze. Eine der größten Hängebrücken der Welt überspannte den mächtigen Strom und führte zu einer hoch aufragenden Statue Christi, die die Stadt von Osten aus mit weit ausgebreiteten Armen zu umarmen schien. Malone war schon häufig in Lissabon gewesen, und er fühlte sich hier wegen der äußerlichen Ähnlichkeiten und der Erdbebengefahr jedes Mal an San Francisco erinnert. Einige dieser Beben hatten in der Stadt ihre Spuren hinterlassen.
Alle Länder besaßen beeindruckende Sehenswürdigkeiten. Ägypten hatte die Pyramiden, Italien den Petersdom, England war stolz auf Westminster Abbey, Frankreich auf Versailles. Nach allem, was der Taxifahrer ihnen auf der Fahrt vom Flughafen erzählt hatte, waren die Portugiesen vor allem stolz auf die Abtei, die sich nun vor ihnen ausbreitete. Die weiße Kalksteinfassade, die länger als ein Fußballfeld war, hatte über die Jahrhunderte den Farbton vergilbten Elfenbeins angenommen, und ihre reichhaltige Ornamentik aus orientalischen, byzantinischen und spätgotischen Elementen, vermittelte dem Betrachter fast den Eindruck, dass die hoch aufragenden Mauern zu leben schienen.
Überall wimmelte es von Besuchern. Mit Kameras behängte Touristen strömten durch das Eingangsportal. Auf der anderen Seite des belebten Boulevards und der Schienen, die vor der eindrucksvollen Südfassade verliefen, warteten Touristenbusse in einer L-förmigen Reihe wie Schiffe, die in einem Hafen angelegt hatten. Ein Schild informierte die Besucher darüber, dass die Abtei im Jahr 1500 wegen eines Gelübdes erbaut worden war, das König Manuel I. vor der Jungfrau Maria abgelegt hatte, und dass an dieser Stelle früher eine alte Seefahrerunterkunft gestanden hatte, die Prinz Heinrich der Seefahrer hatte errichten lassen. Columbus, da Gama und Magellan hatten hier gebetet, bevor sie in See stachen. Im Lauf der Jahrhunderte hatte das riesige Gebäude als Kloster, Altenheim und Waisenhaus gedient. Nun gehörte es zum Weltkulturerbe der UNESCO, und es war so gut restauriert worden, dass es fast wieder in seiner früheren Pracht erstrahlte.
»Die Kirche und die Abtei sind dem Heiligen Hieronymus geweiht«, hörte Malone einen Reiseführer auf Italienisch sagen. »Das ist symbolträchtig, da sowohl Hieronymus als auch dieses Kloster neue Tore zur Welt für die Christenheit darstellten. Von hier aus stachen die Schiffe
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