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Patria

Patria

Titel: Patria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Berry
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Traditionen eigentlich vorherbestimmt war, hatte er eine militärische Laufbahn gescheut und hatte sich ganz seinen Studien gewidmet. Besonders intensiv hatte er sich mit den Fachbereichen Geschichte, Sprachen und Archäologie befasst. Beim Tod seines Vaters hatte er dessen Ländereien und Güter geerbt und jahrzehntelang die Welt bereist, womit er einer der ersten Vertreter der westlichen Welt gewesen war, der Ägypten, das Heilige Land und Arabien ausführlich erkundete und seine Erfahrungen in einer Serie von Zeitschriftenbeiträgen veröffentlichte.
    Er hatte sich selbst Althebräisch beigebracht, jene Sprache, in der das Alte Testament ursprünglich verfasst worden war. Wenn man bedachte, dass in dieser Sprache kaum Vokale geschrieben wurden und dass sie seit dem sechsten Jahrhundert vor Christus nicht mehr im Alltagsleben benutzt wurde, war das eine beachtliche Leistung. In einem 1767 veröffentlichten Werk kritisierte Bainbridge die bekannten Übersetzungen des Alten Testaments und stellte einen großen Teil der konventionellen Deutungen in Frage. Den Rest seines Lebens verbrachte er dann mit der Verteidigung seiner Theorien, und er starb als armer, gebrochener Mann.
    Haddad kannte Bainbridges Werk gut, da er es Seite um Seite intensiv studiert hatte. Er konnte gut nachvollziehen, wie Bainbridge sich gefühlt haben musste. Auch Haddad hatte allgemein gültige Theorien in Frage gestellt und die katastrophalen Konsequenzen zu spüren gekriegt.
    Er genoss es, Bainbridges Haus zu besichtigen, doch leider war ein großer Teil der ursprünglichen Einrichtung, darunter auch Bainbridges beeindruckende Bibliothek, schon vor langer Zeit an die Gläubiger gefallen. Erst im Verlauf der letzten fünfzig Jahre war ein Teil der ursprünglichen Möblierung wieder aufgetaucht. Doch ein Großteil der Bücher war endgültig verloren, sie waren zwischen Sammlern und Händlern hin und her gewechselt und schließlich auf dem Müll gelandet, wie es das Schicksal eines großen Teils des niedergeschriebenen Menschheitswissens zu sein schien. Einige wenige Bände hatte Haddad, der die zahllosen Buchantiquariate Londons immer wieder durchstöberte, jedoch wieder auftreiben können.
    Auch im Internet war er fündig geworden.
    Erstaunlich, welche Schätze sich dort finden ließen. Was man mit einem solchen Informationsnetzwerk vor sechzig Jahren in Palästina hätte bewirken können!
    In letzter Zeit hatte er oft an 1948 gedacht.
    An die Zeit der nakba , als er ständig ein Gewehr mit sich herumgeschleppt und damit Juden umgebracht hatte. Die Arroganz der jungen Leute von heute erschütterte ihn, wenn er an die Opfer dachte, die ihre Vorgänger erbracht hatten. Achthunderttausend Araber waren ins Exil vertrieben worden. Damals war er neunzehn gewesen und hatte im palästinensischen Widerstand als Truppenkommandant gekämpft, doch alles war vergebens gewesen. Die Zionisten hatten gesiegt. Die Araber waren geschlagen worden. Und die Palästinenser waren zu Ausgestoßenen geworden.
    Die Erinnerung an jene Zeit war immer noch lebendig.
    Haddad hatte versucht, alles zu vergessen. Er wollte wirklich vergessen. Doch man mordete nicht folgenlos. Sein ganzes Leben lang hatte er es bereut. Er hatte studiert, war zum Christentum übergetreten und hatte der Gewalt abgeschworen, doch der Schmerz war geblieben. Noch immer konnte er die Gesichter der Ermordeten vor sich sehen. Vor allem ein Gesicht hatte er noch genau vor Augen. Das Gesicht des Mannes, der sich Hüter genannt hatte.
    Sie führen einen unnötigen Kampf gegen einen Feind, der falsch informiert ist.
    An jenem Apriltag im Jahre 1948 hatten sich diese Worte in sein Gedächtnis eingebrannt, und ihre Kraft hatte ihn für immer verändert.
    Ich bin von der Bibliothek hierhergekommen. Wir hüten das Wissen.
    Diese Bemerkung hatte sein Leben verändert.
    Er schlenderte weiter durch das Haus und betrachtete die Büsten und Gemälde, die Steinmetzarbeiten, die groteske Dekoration und die rätselhaften Inschriften. Gegen den Strom der Neuankömmlinge schwimmend, gelangte er schließlich in den Salon, der die Strenge einer altehrwürdigen Universitätsbibliothek mit einer fast weiblich anmutenden Eleganz verband. Haddad konzentrierte sich auf die Regale, in denen einst das Wissen der Jahrhunderte aus den unterschiedlichsten Gebieten versammelt gewesen war. Und er betrachtete die Gemälde, welche an Menschen erinnerten, die durch ihr individuelles Handeln den Lauf der Geschichte verändert

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