Patricia - Der Kuss des Vampirs
sobald er sie anlächelte oder ihr gar so nahe kam, dass sie ihn fast berühren konnte. Und ebenso wenig wie ihre sehnsüchtigen, sehr unzüchtigen Träumereien.
Sie sah auf die Uhr. Es war schon nach zehn Uhr nachts. Es wäre natürlich lächerlich gewesen, hier zu sitzen und zu warten, bis er heimkehrte, aber zum Glück hatte sie ja noch genug zu tun und wenn er – hoffentlich bald – kam, dann fand er sie eben noch arbeitend vor.
Ihre Gedanken begannen um ihn zu kreisen. Ob er diesmal wieder die ganze Nacht fortblieb? Und vor allem: Wo war er? War er unterwegs, um sich ein Opfer zu suchen? Sie schauderte, zwang sich jedoch, auch praktisch zu denken - er musste ja schließlich von etwas leben. Aber vielleicht traf er sich ja auch mit seinesgleichen… Eine Vampir-Frau? Eine Geliebte? Der Gedanke ließ ihre Fingerspitzen kalt werden und sekundenlang ihr Herz stillstehen. Natürlich! Jeder Mann hatte doch eine Geliebte und erst recht ein so gutaussehender wie Churtham. Ihre Augen wurden schmal, als sie das Bild betrachtete, als könnte sie in seinem Gesicht die Antwort ablesen. Das Bild schwieg jedoch und Pat grübelte weiter, völlig auf ihre Arbeit vergessend.
Als es weit nach Mitternacht war hatte sie es sich schon längst im Lehnsessel bequem gemacht, mit einem Buch in der Hand, um dann, wenn Churtham zurückkam, so zu tun, als hätte sie über dem Lesen die Zeit vergessen. Sie schlug das Buch auf, las die erste Seite, aber dann wurde ihr Blick vom Feuer angezogen, das lustig im Kamin flackerte und so angenehm ihre Beine und ihr Gesicht wärmte. Hübsch war es, hier zu sitzen, aber noch hübscher wäre es gewesen, wenn Maximilian ihr dabei Gesellschaft geleistet hätte. Sie seufzte leicht, während sich ihr Blick in den züngelnden Flammen verlor.
»Ein Gentleman möchte Sie sprechen, Miss Smith.«
Pat fiel vor Schreck das Buch aus der Hand, als sie sich plötzlich Simmons gegenüber sah, der unbemerkt eingetreten war. »Ein Gentleman? Jemand aus dem Dorf?«
Simmons reichte ihr schweigend ein Tablett auf dem eine Karte lag. Sie nahm die Karte auf. William Pentwell. Schnell sah sie auf Simmons, aber der schien durch sie hindurchzublicken. »Ach ja«, murmelte sie, »das ist ein Gentleman, den ich auf der Reise kennen gelernt habe.« Sie bemerkte sofort Simmons‹ fast unmerklich hochgezogene Augenbrauen. »Er war sehr liebenswürdig und hilfsbereit«, fühlte sie sich zu einer Erklärung genötigt.
»War dem so, Madam?«, kam es unverbindlich zurück. Sogar ihm, dem Butler eines Vampirs, der die Nacht zum Tag machte, musste es auffallen, wenn jemand sie mitten in der Nacht aufsuchte. »Dann werde ich dem Gentleman also sagen, dass Sie daheim sind, und ihn hereinführen.«
Pentwell trat rasch ein, blieb jedoch stehen, als er ihrer ansichtig wurde. Dann kam er langsam auf sie zu, sie dabei nicht aus den Augen lassend. Er wirkte sehr besorgt. »Meine liebe Miss Smith, welch eine Freude, Sie gesund wiederzusehen.«
»Guten Tag, Mr. Pentwell. Aber weshalb sollte das nicht der Fall sein?« Sie musterte ihn unauffällig. Niemand hätte Pentwell hässlich nennen können. Im Gegenteil, er war sogar sehr gutaussehend, fast so groß wie Churtham, schlank, mit einem gutgeschnittenen Gesicht, schwarzem Haar, das sich in gepflegten Wellen an den Kopf schmiegte. Seine Kleidung war unauffällig, aber zweifellos vom besten Londoner Schneider und er trug sie mit einer nicht zu bestreitenden Eleganz.
Er ergriff ihre Hand und Pat fiel auf, wie unangenehm kalt sich seine anfühlte. »Ich bin gekommen, um Sie zu bitten, sofort Ihre Sachen zu packen und mit mir zu kommen, Miss Smith. Sie sind in großer Gefahr. Erst vor kurzem ist wieder ein Mädchen verschwunden. Das halbe Dorf ist in Aufruhr, man hat sie überall gesucht.« Er atmete tief durch. »Ich habe ihre Spuren verfolgt. Sie war auf dem Weg zum Schloss, als man sie das letzte Mal sah.«
Pat dachte an die Tote im Wald, die nächtlichen Stimmen, die unheimlichen, undefinierbaren Geräusche und es lief ihr eiskalt den Rücken hinunter. »Was sollte sie denn hier wollen?«, fragte sie unschuldig. Sie war unendlich stolz drauf, wie gut es ihr gelang, Haltung zu bewahren angesichts der Tatsache, dass sie Churtham mehr oder weniger dabei behilflich gewesen war, die Leiche dieser Unglücklichen verschwinden zu lassen.
Er lächelte bitter. »Ihr Arbeitgeber scheint es leider sehr gut zu verstehen, Frauen und besonders unschuldige Mädchen für sich zu gewinnen. Die Leute
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