Patterson James
weinte leise. Ich drehte fast durch. Was hatten sie ihr
angetan? Mein Adrenalin tobte, ich wurde verrückt.
Direkt vor meinem Käfig blieben zwei Beine stehen. Ich sah
den unteren Teil des weißen Kittels um die Knie.
Der Weißkittel beugte sich herab und schaute freundlich zu
mir herein.
Mir blieb fast das Herz stehen. Ich prallte zurück.
»Maximum Ride«, sagte Jeb Batchelder. »Oh, ich habe dich so
sehr vermisst.«
I
ch halluziniere, dachte ich benommen. Ich schwebe
außerhalb meines Körpers umher.
Mir wurde fast schwarz vor Augen. Ich sah nur Jeb, der mich
durch die Stäbe meines Hundekäfigs anlächelte.
Jeb war für mich der einzige Mensch gewesen, der einem
Elternteil nahe gekommen war. Vor vier Jahren hatte er uns
sechs entführt, gestohlen aus dieser Show der Missgeburten und
uns in unserem Haus in den Bergen versteckt. Er hatte uns
geholfen, fliegen zu lernen – keinem von uns hatte man zuvor je
genügend Raum gewährt, um es zu probieren. Er hatte uns mit
Kleidung versorgt, zu Essen gegeben, uns Überlebenskunst
gelehrt, zu kämpfen und zu lesen. Er hatte Witze erzählt,
Geschichten vorgelesen und uns Videospiele erlaubt. Er hatte
unser warmes Essen gekocht und uns abends ins Bett gebracht.
Immer wenn ich Angst hatte, musste ich nur daran denken, dass
Jeb da war und uns beschützen würde. Dann fühlte ich mich
gleich besser.
Vor zwei Jahren war er plötzlich verschwunden.
Wir waren ganz sicher gewesen, dass man ihn umgebracht
hatte. Wir wussten, dass er eher gestorben wäre, als unseren
Aufenthaltsort zu verraten. Dass er gestorben war, um uns zu
schützen. Irgend so was auf alle Fälle.
In den letzten zwei Jahren hatten wir Jeb schrecklich vermisst.
Uns hatte alles wehgetan, und diese Schmerzen wollten einfach
nicht aufhören. Du weißt schon – wenn dein Dad oder deine
Mom stirbt. Anfangs, als er nicht heimgekommen war, war es
grauenvoll gewesen, aber dann mussten wir uns damit abfinden,
dass er nie wiederkommen würde.
Tot oder lebendig – er war mein Held gewesen. Jeden Tag.
Jetzt sagten mir meine Augen, dass er einer von denen war.
Dass er vielleicht die ganze Zeit dazugehört hatte. Dass alles,
was ich je von ihm geglaubt oder gefühlt hatte, eine einzige
stinkende Lüge gewesen war.
Jetzt ergaben Angels Worte, ihre Angst, ihre Tränen Sinn. Sie
hatte es die ganze Zeit gewusst.
Wie gern hätte ich jetzt in ihr Gesicht und das von Fang und
Nudge geblickt. Wie sie reagierten auf diesen Hammer.
Aber ich ließ mir nichts anmerken. Diese Genugtuung gönnte
ich Jeb nicht.
Ich hatte Jeb geliebt und vertraut, doch davon war nicht mehr
viel übrig. Die neuen Gefühle waren so mächtig und so
hasserfüllt, dass ich Angst vor mir selbst bekam.
Und das will schon was heißen.
»Ich weiß, dass du überrascht bist«, sagte er lächelnd. »Komm
her, ich muss mit dir reden.«
Er öffnete meine Käfigtür und hielt sie offen. In einer
Nanosekunde hatte ich einen Aktionsplan: Ich würde überhaupt
nichts tun. Nur zuhören und beobachten. Alles absorbieren und
nichts preisgeben.
Okay, dieser Plan war nicht gerade der Bauplan von
Westminster Abbey, aber er war ein Anfang.
Langsam kletterte ich aus meiner Kiste. Meine Muskeln
schmerzten, als ich mich aufrichtete. Ich schaute meinen
Schwarm nicht an, als ich vorbeiging, aber ich hielt meine
rechte Hand auf den Rücken und hatte zwei Finger gekreuzt.
Das war unser Zeichen: »Abwarten!«
Jeb hatte es uns gelehrt.
J
eb und ich gingen an einer Reihe von Computern vorbei, wo
die anderen uns nicht sehen konnten. Eine Tür führte in ein
kleines Zimmer mit Liegen, das weniger wie ein Labor
eingerichtet war. Dort standen ein Tisch und Stühle, eine Spüle
und eine Mikrowelle.
»Setz dich, Max«, sagte Jeb und deutete auf einen Stuhl. »Ich
hole uns heiße Schokolade.« Er sagte das wie beiläufig, dabei
wusste er genau, dass das mein Lieblingsgetränk war, als seien
wir in der Küche zu Hause in den Bergen.
»Max, ich muss es dir einfach sagen – ich bin ungemein stolz
auf dich«, sagte er und stellte die Becher in die Mikrowelle. »Ich
kann es kaum glauben, wie gut du dich entwickelt hast. Nein,
ich kann es glauben – ich wusste, du würdest es schaffen. Ich
bin ja so stolz, wenn ich sehe, wie gesund und kräftig du bist,
eine echte Führernatur.«
Die Mikrowelle piepte. Er stellte den dampfenden Becher vor
mich auf den Tisch. Wir waren hier in einer streng geheimen
Anlage, mitten in Death Valley, offiziell das
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