Patterson James
Quittung.«
»Wer bist du?«, stieß ich hervor. Mir wurde eiskalt ums Herz.
Der Eraser grinste. Seine langen scharfen Zähne passten kaum
in sein Maul. »Du erkennst mich nicht? Ich bin ein bisschen
gewachsen.«
Unvermittelt wusste ich Bescheid. Vor Entsetzen wurden
meine Augen groß.
»Ari«, flüsterte ich. Er lachte wie ein Irrer. Dann stand er auf.
Ich sah, wie sein riesiger schwarzer Stiefel direkt auf meinen
Kopf zielte. Ich drehte ihn auf die Seite. Dann wurde mir
schwarz vor Augen.
Mein letzter Gedanke. Ich konnte es nicht fassen: Ari war Jebs
Sohn. Sie hatten ihn zu einem Eraser gemacht. Er war sieben
Jahre alt.
M
ax?« Die Stimme des Gasmans klang sehr jung und sehr
verängstigt.
Ich hörte ein grauenvolles leises Stöhnen. Dann wurde mir
klar, dass das von mir stammte.
Der Gasman und Fang beugten sich mit besorgter Miene über
mich. Ihre Gesichter sahen schlimm aus. Sie hatten Blutergüsse.
»Ich bin okay«, krächzte ich. Dabei hatte ich keinen blassen
Schimmer, ob das zutraf. Die Erinnerung überschwemmte mich.
Ich wollte mich aufsetzen. »Wo ist Angel?« Meine Stimme
klang angespannt.
Fangs dunkle Augen trafen meine. »Sie ist weg. Sie haben sie
mitgenommen.«
Ich dachte, ich würde gleich wieder in Ohnmacht fallen. Ich
erinnerte mich. Als ich neun Jahre alt war und aus dem
vergitterten Fenster des Labors schaute, hatte ich die Eraser im
Zwielicht beobachtet. Die Weißkittel hatten Schimpansen auf
dem Schulgelände ausgesetzt und ließen die frisch gemachten
Eraser darauf los. So sollten sie lernen zu jagen.
Die Schmerzensschreie der zu Tode verängstigten
Schimpansen gellten mir immer noch in den Ohren.
Und die hatten jetzt Angel.
Wut überwältigte mich – warum hatten sie nicht mich statt
Angel mitgenommen? Warum ein kleines Kind? Vielleicht hätte ich eine Chance – vielleicht.
Zitternd kam ich auf die Beine. In meinem Kopf drehte sich
alles. Ich musste mich gegen Fang lehnen. Ich hasste meine
Schwäche. »Wir müssen sie zurückholen«, erklärte ich und
bemühte mich, gerade zu stehen. »Wir müssen sie holen, ehe die
…« Grauenvolle Bilder zuckten durch meinen Kopf: Angel
wurde gejagt, verletzt, getötet. Ich schluckte und verdrängte die
Bilder. »Also, Leute, seid ihr bereit für eine Jagd?« Ich musterte
die vier. Sie sahen aus, als hätte man sie in einen Mixer gesteckt
und dann auf »zerhacken« gedrückt.
»Ja«, erklärte Nudge mit tränenerstickter Stimme.
»Ich auch.« Iggys gespaltene Lippe machte seine Aussprache
ein wenig undeutlich.
Der Gasman nickte ernst.
Ich war entsetzt, weil ich plötzlich vor heißen Tränen alles
unscharf sah. Ich wischte sie mit dem Handrücken weg und rief
meine Wut zurück, um die Fassung nicht zu verlieren.
In diesem Moment legte Iggy den Kopf schief. Das war mein
Stichwort, genau hinzuhören. Dann hörte ich es auch: leises
Motorengeräusch. »Dort!«, sagte Iggy und deutete.
Wir fünf rannten in Richtung des Geräuschs. Nach knapp
hundert Metern durch den Wald kamen wir an einen Steilhang,
ungefähr fünfzehn Meter über einer alten unbenutzten
Forststraße.
Dann sah ich es: Ein schwarzer Geländewagen, mit Staub und
Schlamm bedeckt, rumpelte über die unbefestigte Straße. Mein
Herz klopfte. Ich wusste, ja, ich wusste es, dass meine Kleine,
meine Angel, im Fahrzeug war. Und sie war auf dem Weg zu
einem Ort, wo der Tod einen Segen darstellte.
Nein, das durfte nicht geschehen! Nicht solange ich noch
atmete.
»Kommt, wir holen sie!«, rief ich und rannte los. Die anderen
machten mir Platz, als ich zur Kante lief und hinaus in die Luft
sprang.
Ich fiel zur Straße hinab.
Dann entfaltete ich schnell meine Flügel und fing den Wind ein.
Und ich begann zu fliegen.
W
eißt du, es ist tatsächlich schwer, zwischen dem
Albtraum, den ich hatte, und dem wahren Leben zu
unterscheiden. Meine Freunde und ich haben wirklich in dieser
stinkenden Jauchegrube, Schule genannt, gelebt. Wir wurden
von Wissenschaftlern erschaffen, Weißkitteln, die auf unsere
menschlichen Gene Vogel-DNA aufgepropft haben. Jeb war
auch ein Weißkittel gewesen, aber ihm hatten wir leid getan. Er
hatte sich um uns Sorgen gemacht und uns von dort entführt.
Wir waren Vogelkinder, eine Schar von sechs. Und die Eraser
wollten uns umbringen. Jetzt hatten sie die sechsjährige Angel.
Ich drückte die Flügel kräftig nach unten und dann wieder
nach oben. Ich spürte, wie meine Schultermuskeln arbeiteten,
um die Flügel mit vier Metern Spannweite
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