Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
schoss ihr von oben in die Schläfe. Nur ein Schuss.
Eine professionelle Exekution.
Ohne Leidenschaft.
Beinahe ohne Leidenschaft.
Die Ruger hatte einen Schalldämpfer. Der Schuss im Hotelzimmer war nicht lauter als der gedämpfte Knall eines Sektkorkens. Die Einschlagswucht der 9-mm-Patrone riss Sara aus seinen Armen. Unwillkürlich zitterte er, als er auf den leblosen Körper blickte, der auf dem Zimmerteppich lag.
»Jetzt ist es vorbei«, sagte er. »Der Schmerz deines Lebens ist vorbei, die ganze Bitterkeit und alle Qualen. Tut mir Leid, Affengesichtchen.«
Er legte die Abschiedsbotschaft in Jills rechte Hand. Dann drückte er ihre Faust so kräftig zusammen, dass der Zettel zerknittert wurde. Zum letzten Mal hielt er Saras Hand. »Und Jill taumelte ihm hinterdrein und fiel.« Er dachte an die Worte des Kinderreims.
Aber Jack würde nicht fallen. Der Tag des ultimativen Wahnsinns hatte begonnen.
Jack und Jill hatte endlich begonnen.
SECHSTER TEIL
NIEMAND IST MEHR SICHER – NIEMAND
87.
Das Dokument in meinen Händen trug den Titel: Besuch des Präsidenten der Vereinigten Staaten. New York City, 16. und 17. Dezember. Es war neunundachtzig Seiten stark und enthielt buchstäblich jeden Augenblick, nachdem der Präsident die Air Force One in La Guardia verlassen hatte, bis er gegen zwei Uhr nachmittags wieder in die Maschine stieg und zurück nach Washington flog.
Die Seiten enthielten auch Kartenskizzen von jedem Ort, an dem der Präsident sich aufhalten würde: Flughafen La Guardia, das Waldorf, das Felt Forum im Madison Square Garden, die Routen des Autokonvois und alternative Strecken.
Im Geheimdienstdokument stand:
10:55 Der Präsident und Mrs. Byrnes steigen in Limousine. Anmerkung: Der Präsident und Mrs. Byrnes schreiten durch einen Kordon der New Yorker Polizeibeamten beim Waldorf Astoria Hotel.
11:00 Konvoi verlässt Waldorf via Route (Code C) zum Madison Square Garden, Felt Forum.
Geschlossene Ankunft. Keine Presse zugelassen.
Ich beschäftigte mich mit dem Puzzle Jack und Jills bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Präsident das Waldorf verlassen und mit dem Konvoi aus Limousinen, Polizeifahrzeugen und Motorrädern ins Stadtzentrum fahren sollte. Während der letzten drei Tage hatten FBI, Geheimdienst und die New Yorker Polizei an einem genauen Plan zusammengearbeitet, um Jack und Jill festzunehmen, falls diese tatsächlich in den Madison Square Garden kommen sollten. An die tausend Beamte in Zivil würden bei der Rede des Präsidenten im Publikum sein. Wir alle hegten berechtigte Zweifel, ob dieser Schutz ausreichte.
Den ganzen Morgen ging mir ein quälender Gedanke durch den Kopf: Niemand kann die Kugel eines Attentäters aufhalten. Niemand fängt die Kugel ab. Sie trifft nur das Opfer.
Was würden Jack und Jill unternehmen? Wie würde alles ablaufen? Ich vermutete, dass sie im Madison Square Garden sein würden – und dass sie ganz aus der Nähe zuschlagen wollten. Und dass sie fest damit rechneten zu entkommen.
Der Präsident und Mrs. Byrnes wurden genau um fünf Minuten vor elf zu ihrer Limousine geleitet. Eine Phalanx aus einem Dutzend Sicherheitsleuten schirmte sie auf dem Weg von der Turmsuite zur gepanzerten Limousine ab, die in der Tiefgarage des Hotels wartete.
Ich ging dicht hinter der Hauptbegleitgruppe. Hier hatte ich nicht die Aufgabe, den Präsidenten mit Leib und Leben zu schützen. Ich hatte Jay Grayer bereits meine Vermutung mitgeteilt, dass das Attentat tatsächlich stattfinden würde. Ich würde nahe dran sein. Ich würde mich deutlich zeigen. Aber Jack und Jill hatten mit Sicherheit einen Fluchtplan.
Heute Morgen hatte es bereits eine Änderung der Pläne gegeben. Kein Kordon hochrangiger Polizisten am Hintereingang des Hotels. Keine Gelegenheit, Fotos zu schießen. Man hatte den Präsidenten überzeugen können, nicht ein zweites Mal ungeschützt und offen durch die Eingangshalle des Waldorf zu marschieren.
Ich beobachtete Mrs. Byrnes und den Präsidenten, wie sie für die Fahrt von drei Kilometern in die Limousine stiegen. Die beiden hielten Händchen. Ein rührender Moment für mich als Augenzeuge. Es passte zu allem, was ich über Thomas und Sally Byrnes wusste.
Keine Reue.
Der Konvoi setzte sich pünktlich in Bewegung. Es war das »formale Paket eines motorisierten Konvois«, wie der Geheimdienst es nannte. Das »Paket« umfasste achtundzwanzig Fahrzeuge. In sechs Wagen saßen Anti-Attentat-Teams. Im »Nachrichten«-Wagen befanden sich Computer, um mit den
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