Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
mit einer Sprengladung versehen.
Der einzigartige Chief Pittman befand sich mit einem Mann in grauem Anzug im Schlafzimmer. Wahrscheinlich einer von der Spurensicherung. Beide drehten sich um und schauten mich an. Pittman kaute auf einer nicht angesteckten Bauza-Zigarre. Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf, als er sah, wer ins Zimmer gekommen war. Aber er konnte nichts dagegen tun. Auf Commissioner Clousers Einladung/Befehl hin arbeitete ich offiziell an diesem Fall. Doch es war nicht zu übersehen, dass der Chief mich hier nicht haben wollte.
»Spät kommt er, doch er kommt. Der höchst überflüssige Alex Cross«, sagte er in zynischem Tonfall zu dem Kerl im grauen Anzug. So viel zum Thema Höflichkeit.
Die beiden wandten ihre Aufmerksamkeit wieder der Promileiche auf dem Bett zu. Chief Pittman war aus keinem ersichtlichen Grund so zynisch gewesen. Ich machte mir deshalb kein großes Kopfzerbrechen. Dieses unhöfliche, arrogante Arschloch benahm sich fast immer so. Was für ein nutzloser Schweinehund, ein richtiger Kotzbrocken. Er brachte nur eins zu Stande: anderen im Weg zu stehen.
Ich atmete mehrmals tief durch und konzentrierte mich auf den Job, die Leiche, den Tatort eines Mordes. Ich ging zum Bett und nahm meine Routinearbeit auf: erste Eindrücke sammeln.
Ein Tanga war über Natalie Sheehans Kopf gezogen, das Gummiband der Taille lag um ihren Hals. Das Höschen bedeckte Nase, Kinn und Mund. Ihre großen, toten blauen Augen waren starr auf die Decke gerichtet. Immer noch trug sie schwarze Strümpfe und einen blauen Büstenhalter, der zum Spitzenhöschen passte.
Wieder gab es Beweise für Perversion – aber ich war skeptisch. Das alles war mir zu ordentlich, zu sorgfältig arrangiert. Warum wollten Jack und Jill, dass wir glaubten, perverser Sex spiele eine Rolle? War das ein Hinweis? Waren Jack und Jill ein frustriertes Liebespaar? War Jack impotent? Wir mussten wissen, ob jemand mit dem Opfer Geschlechtsverkehr gehabt hatte.
Es war ein besonders beunruhigender Tatort. Nach Kyles Information war Natalie Sheehan seit ungefähr acht Stunden tot. Sie war nicht mehr schön, nicht einmal annähernd. Ironischerweise hatte sie die größte Story ihres Lebens mit ins Grab genommen. Sie kannte Jack – vielleicht auch Jill.
Ich konnte mich erinnern, sie im Fernsehen gesehen zu haben. Es war beinahe so, als wäre jemand ermordet worden, den ich persönlich gekannt hatte. Vielleicht liegt darin die Faszination bei Promimorden. Wir sehen Menschen wie Natalie Sheehan beinahe täglich. Wir bekommen das Gefühl, sie zu kennen. Und wir glauben, dass ihr Leben ungeheuer interessant sei. Selbst ihr Tod ist noch interessant.
Ich konnte beinahe sehen, dass es offensichtliche und augenfällige Ähnlichkeiten mit dem Mord an Senator Fitzpatrick gab. Da war zum Beispiel dieser perverse Sadismus. Natalie Sheehan war mit Handschellen an die Bettpfosten gefesselt. Sie war halb nackt. Außerdem war sie »exekutiert« worden, genau wie der Senator.
Man hatte der bekannten Nachrichtenmoderatorin einen Schuss aus nächster Nähe in die linke Kopfseite versetzt. Der Kopf hing zur Seite, als wäre der lange Hals gebrochen. Vielleicht war er es.
Hatte ich hier das Verhaltensmuster von Jack und Jill? Wohl überlegt, effizient und absolut kaltblütig? Und pervers aus einem Grund, den nur sie selbst kannten? Pseudopervers? Sexuelle Besessenheit oder ein Zeichen für Impotenz? Was sagte uns dieses Tatmuster? Was wollte es mitteilen?
Langsam entwickelte ich ein Muster der psychologischen Täterpersönlichkeiten. Methode und Stil der Morde waren wichtiger für mich als handgreifliche Beweise. Immer. Beide Morde waren sorgfältig geplant – methodisch, gut vorbereitet und in Ruhe verübt. Jack und Jill spielten ein kaltblütiges Spiel. Bis jetzt hatte es keine signifikanten Schnitzer gegeben – soweit ich wusste. Die einzigen handgreiflichen Beweise am Tatort waren absichtlich hinterlassen worden: die Mitteilungen.
Sexuelle Fantasien waren augenscheinlich; die Präsentation der Frau auf dem Bett und die Verstümmelung der Genitalien Senator Fitzpatricks ließen es deutlich erkennen. Hatten Jack und Jill sexuelle Probleme?
Mein erster Eindruck war, dass beide Mörder weiß und zwischen dreißig und fünfundvierzig Jahre alt waren – wahrscheinlich eher vierzig und darüber; die sorgfältige Organisation und Planung beider Morde ließen darauf schließen. Außerdem deutete alles auf eine weit überdurchschnittliche
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