Patterson, James - Alex Cross 03 - Sonne, Mord und Sterne
Öffentlichkeit morden, unter den strahlenden Lichtern, unter all diesen Prismen und Lampen.
Und mich nicht erwischen lassen!
Was für ein unglaublicher Zaubertrick. Wie gut ich das doch kann.
In einem Schließfach an der Union Station hatte die Theaterkarte bereitgelegen, die man für ihn gekauft hatte. Sein Platz befand sich hinter dem Orchester, beinahe direkt unter der »Präsidentenloge«. Sehr schön. Nahezu perfekt. Absichtlich begab er sich erst an seinen Platz, als die Lichter schwächer wurden.
Er war tatsächlich überrascht, als die Pause kam. So schnell! Die Zeit war regelrecht verflogen. Das melodramatische Bühnenstück war wirklich nicht übel.
Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. 21 Uhr 15. Die Pause kam ganz pünktlich. Die Beleuchtung wurde eingeschaltet. Hawkins konnte sehen, dass die Menge von dem HitMusical begeistert war.
Das war günstig für ihn: Echte Begeisterung, Überschwang, jede Menge lockere Konversation herrschten im Saal. Langsam erhob er sich vom Polstersitz. Gleich vor ihm, ein Stück erhöht, befand sich eine Bronzebüste John F. Kennedys.
Wie passend.
Genau so. Genau richtig.
Der Jack-und-Jill-Mord würde der größte Knaller seit der Ermordung Kennedys werden, und das war vor über dreißig Jahren gewesen. Er war glücklich, an dieser Sache hier teilzunehmen. Freudig erregt, um genau zu sein. Und er fühlte sich geehrt.
In der heutigen Abendvorstellung wird die Rolle des Jack von Kevin Hawkins gespielt.
Seht genau her, Theaterfans. Dieser Akt wird unvergesslich.
44.
Die riesige Eingangshalle des Kennedy Centers war gerammelt voll mit hochnäsigen Arschlöchern aus Washington. Theaterpublikum, o Gott. Es waren hauptsächlich ältere Leute – Abonnementbesitzer. Auf Tischen wurden billige T-Shirts und überteuerte Programmhefte verkauft. Eine Frau mit grellrotem Schirm führte in der Pause eine Gruppe Schulkinder durch die Menge.
Bei diesem Mord musste Kevin Hawkins einen verdammt schwierigen Trick vollführen.
Er musste ganz nahe an das Opfer herankommen, körperlich nahe, ehe er den Mord beging.
Was ihm ziemliches Kopfzerbrechen bereitete, aber er hatte keine andere Wahl. Er musste direkt am Opfer sein, durfte diesen Teil seines Jobs nicht verpatzen.
Der Fotoreporter dachte darüber nach, während er sich erfolgreich unter das lärmende Theaterpublikum mischte.
Endlich entdeckte er Thomas Henry Franklin, Richter am Obersten Gerichtshof. Franklin war das jüngste Mitglied des derzeitigen Richtergremiums, ein Afroamerikaner. Er wirkte hochmütig, was zu seinem Ruf in Washington passte. Er war kein liebenswürdiger Mann. Aber das spielte keine Rolle.
Schnappschuss! Kevin Hawkins machte in Gedanken ein Foto von Thomas Henry Franklin.
Am linken Arm des Richters hatte sich eine dreiundzwanzigjährige Frau eingehängt. Schnappschuss. Schnappschuss.
Auch was Charlotte Kinsey betraf, hatte Hawkins seine Hausaufgaben gemacht. Natürlich kannte er ihren Namen. Er wusste, dass sie im zweiten Jahr Jura in Georgetown studierte. Er kannte noch weitere dunkle Geheimnisse über Charlotte Kinsey und Richter Franklin. Er hatte die beiden im Bett beobachtet.
Er ließ sich noch einen Moment Zeit, Thomas Franklin und die Studentin zu betrachten, als die beiden sich im Großen Foyer unterhielten. Sie waren ebenso lebhaft vor Begeisterung wie andere Paare. Sogar noch mehr. Was für ein Riesenvergnügen das Theater doch sein konnte!
Er machte noch ein paar Gedankenfotos. Nie würde er das Bild der beiden vergessen, die sich so lebhaft unterhielten. Schnappschuss. Und noch einer. Schnappschuss.
Die beiden lachten. Spontan und natürlich. Sie schienen die Gesellschaft des anderen zu genießen. Unwillkürlich runzelte Hawkins die Stirn. Er hatte in Silver Springs zwei Nichten. Der Gedanke, dass die junge Jurastudentin mit diesem angeberischen Arschloch fortgeschrittenen Alters herumzog, störte ihn gewaltig.
Dann aber musste er über die Ironie seines harten Urteils lächeln. Ein eiskalter Killer mit Moral – wie komisch. Wie verrückt. Wie ungemein cool.
Er sah, wie die beiden auf die große Terrasse vor der Lobby traten. Er folgte dem Paar im Abstand von mehreren Schritten. Vor ihnen breitete sich der Potomac aus. Der Fluss war schwarz wie die Nacht. Ein Vergnügungsdampfer aus Alexandria, auf dem man zu Abend essen konnte – die Dandy –, glitt vorüber.
Die durchsichtigen Vorhänge zwischen der Lobby und der Terrasse flatterten dramatisch in dem kühlen Wind, der vom Fluss her wehte.
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