Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
verließ. Dann war ihm, als spüre er das Hinscheiden der eigenen Seele. In jener Nacht war auch er gestorben.
Und in jener Nacht in Cambridge wurde aus dem Tod Smith geboren.
Thomas Pierce war Mr. Smith.
102.
»Thomas Pierce ist Mr. Smith«, sagte ich zu den in Quantico versammelten Agenten. »Falls einige von Ihnen daran noch zweifeln sollten: Unterlassen Sie es lieber, es könnte für Sie und alle anderen im Team gefährlich werden. Pierce ist Smith, und er hat bis jetzt neunzehn Menschen bestialisch getötet. Und er wird wieder morden.«
Ich hatte lange gesprochen, jetzt schwieg ich. Es gab Fragen seitens der Männer, viele Fragen. Ich konnte es ihnen nicht verübeln, ich hatte selbst noch einige offene Fragen zu klären.
»Darf ich kurz auf etwas anderes zurückkommen? Ist Ihre Familie tatsächlich überfallen worden?« fragte ein junger Agent mit Bürstenhaarschnitt. »Haben Sie wirklich Verletzungen erlitten?«
»In meinem Haus hat tatsächlich ein Überfall stattgefunden. Aus Gründen, die wir noch nicht verstehen, ist der Eindringling jedoch vor Mord zurückgeschreckt. Meiner Familie geht es gut. Glauben Sie mir, ich will diesen Überfall mehr als jeder andere aufklären, wir werden den Mistkerl fassen.«
Ich hob die Hand mit dem Verband hoch, damit ihn alle sehen konnten.
»Eine Kugel ist in mein Handgelenk eingedrungen. Eine zweite verletzte meinen Unterleib, ist aber wieder ausgetreten. Im Gegensatz zu den Meldungen wurde die Leberarterie nicht getroffen. Ich befand mich tatsächlich in einem sehr schlechten Zustand, aber mein EKG hat nie ›nachlassende Aktivität‹ gezeigt. Das war allein für Pierce gedacht. Kyle, möchtest du weitere Löcher in dieser Geschichte stopfen, an deren Entstehen du beteiligt warst?«
Kyle Craig berichtete den Agenten von seinem meisterhaften Plan.
»Alex hat recht in bezug auf Pierce. Er ist ein kaltblütiger Mörder, und was wir heute nacht vorhaben, ist äußerst gefährlich. Es ist zudem ungewöhnlich, aber die besondere Situation erfordert dieses Vorgehen. In den letzten Wochen haben Interpol und FBI versucht, dem cleveren Mr. Smith eine unausweichliche Falle zu stellen. Wir sind sicher, daß es Thomas Pierce ist«, wiederholte Kyle, »wir konnten ihn leider nur nicht bei irgendeiner Sache erwischen, die ein eindeutiger Beweis wäre, deshalb wollen wir nichts tun, was ihn aufscheuchen und zur Flucht bewegen könnte.«
»Der Mistkerl ist unheimlich und absolut zum Fürchten, das kann ich Ihnen sagen«, meldete sich John Sampson neben mir zu Wort. Ich merkte, daß er sich zurückhielt, sich seinen Zorn nicht anmerken lassen wollte.
»Und er ist sehr vorsichtig. Ich habe ihn während meiner Zusammenarbeit mit ihm nie bei etwas ertappt, was einem Ausrutscher auch nur nahegekommen wäre. Pierce spielt seine Rolle perfekt.«
»Sie Ihre aber auch, John«, lobte ihn Kyle. »Detective Sampson ist ebenfalls eingeweiht gewesen«, erklärte er.
Vor ein paar Stunden war Sampson noch mit Pierce in New Jersey gewesen. Er kannte ihn besser als ich, wenn auch nicht so gut wie Kyle oder Sondra Greenberg von Interpol, die das allererste Täterprofil über Pierce erstellt hatte und jetzt bei uns in Quantico war.
»Was können Sie über ihn sagen, Sondra?« fragte Kyle sie. »Was halten Sie für wichtig?«
Die Inspektorin von Interpol war eine große, eindrucksvolle Frau, die fast zwei Jahre lang in Europa an dem Fall gearbeitet hatte. »Thomas Pierce ist ein arroganter Scheißkerl. Glauben Sie mir, er macht sich über uns alle lustig. Er ist sich seiner selbst hundertprozentig sicher und außerdem extrem vorsichtig. Manchmal glaube ich sogar, daß er zu keinerlei menschlichen Regungen fähig ist. Ich nehme jedoch an, daß er bald explodieren wird. Der Druck, den wir ausüben, wirkt immer besser.«
»Das ist offensichtlich«, nahm Kyle den Faden auf. »Pierce wirkte anfangs sehr gelassen. Er hatte alle hereingelegt, er war einer der professionellsten Agenten, die wir je hatten. Anfangs hat niemand bei der Polizei von Cambridge geglaubt, daß er Isabella Calais ermordet hatte. Er hat zu keiner Zeit einen Fehler gemacht, und seine Trauer über ihren Tod war beeindrukkend.«
»Man muß ihn sehr ernst nehmen«, ergriff Sampson wieder das Wort. »Er ist höllisch schlau und außerdem ein ziemlich guter Ermittler. Seine Instinkte sind sehr ausgeprägt, und er ist diszipliniert. Er hat seine Hausaufgaben gemacht, und die brachten ihn direkt zu Simon Conklin. Ich glaube, daß er
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