Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
ermordet auf. So lautete damals der Polizeibericht, der später vom FBI auch bestätigt wurde. Ich will Ihnen jetzt von dem Mord berichten, Ihnen erzählen, was unserer Meinung nach wirklich passiert ist.«
102.
Thomas Pierce hatte den Abend mit Freunden in einer Bar namens Jillian’s verbracht. Die Gruppe feierte ihren Abschluß
an der medizinischen Fakultät und zechte seit etwa zwei Uhr nachmittags heftig.
Pierce hatte seine Freundin Isabella gebeten mitzukommen, aber sie hatte ihm einen Korb gegeben und gesagt, er solle sich ruhig amüsieren und etwas Dampf ablassen. Schließlich habe er es verdient. An jenem Abend verbrachte – wie schon seit einem halben Jahr – ein Arzt namens Martin Straw den Abend in der gemeinsamen Wohnung von Isabella und Pierce. Straw und Isabella hatten ein Verhältnis, und er hatte versprochen, ihretwegen seine Frau und seine Kinder zu verlassen. Isabella schlief bereits, als Pierce in die Wohnung in der Inman Street zurückkehrte. Er wußte, daß Dr. Martin Straw zuvor dort gewesen war. Er hatte Straw und Isabella bei anderen Gelegenheiten zusammen gesehen und war ihnen mehrmals in Cambridge und bei Tagesausflügen aufs Land gefolgt. Als er die Wohnungstür öffnete, spürte er mit jeder Faser seines Körpers, daß Martin Straw dort gewesen war. Straws Geruch war unverkennbar. Thomas Pierce hätte am liebsten geschrien. Er hatte Isabella nie betrogen, nicht einmal in Gedanken.
Sie lag in ihrem gemeinsamen Bett und schlief fest. Er stand einige Momente lang neben ihr, doch sie rührte sich nicht. Er hatte immer geliebt, wie sie schlief, sie liebend gern dabei beobachtet, hatte ihre Haltung im Schlaf immer für Unschuld gehalten.
Er bemerkte, daß Isabella Wein getrunken hatte, konnte den typischen Geruch wahrnehmen.
Sie hatte sich in jener Nacht parfümiert. Für Martin Straw. Es war Joy von Jean Patou, ein sehr teures Parfüm, das er ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte. Thomas Pierce begann zu weinen, hatte seine Hände dabei vors Gesicht geschlagen. Isabellas langes, kastanienbraunes Haar war offen, ergoß sich malerisch über die Kissen. Für Martin Straw. Martin Straw lag immer auf der linken Seite des Bettes. Er hatte einen Defekt in der Nasenscheidewand, der hätte behoben werden müssen, aber auch Ärzte schieben Operationen vor sich her. Er konnte durch das rechte Nasenloch nicht gut atmen.
Thomas Pierce wußte das. Er hatte Straw studiert, versucht, ihn zu verstehen. Er wußte auch, daß er jetzt handeln mußte, daß er sich nicht zuviel Zeit lassen durfte.
Er stürzte sich mit seinem ganzen Gewicht auf Isabella, mit all seiner Wucht und Kraft. Sein Werkzeug lag bereit. Sie wehrte sich, aber er konnte sie unten halten. Er umklammerte ihren langen Schwanenhals mit seinen kräftigen Händen, verkeilte seine Füße unter der Matratze, um einen besseren Halt zu haben. Der Kampf entblößte ihre Brüste, und er wurde daran erinnert, wie sexy und schön Isabella war, daß sie perfekt zusammenpaßten, sie galten als »Romeo und Julia von Cambridge«. Was für ein Blödsinn! Ein klägliches Märchen. Die Wahrnehmung von Leuten, die nicht richtig sehen konnten. Sie liebte ihn nicht wirklich – aber wie sehr hatte er sie geliebt!
Isabella hatte zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben Gefühle in ihm geweckt.
Thomas Pierce sah auf sie hinunter. Isabellas Augen waren jetzt wie blinde Spiegel, und ihr schöner Mund stand ein wenig offen. Ihre Haut fühlte sich immer noch samtweich an. Sie war jetzt völlig hilflos, aber sie konnte sehen, was geschah. Isabella war sich ihrer Verbrechen und der Strafe, die ihr bevorstand, bewußt.
»Ich weiß nicht, was ich tue«, sagte er schließlich. »Es ist, als stände ich neben mir und schaute zu. Und doch … Ich kann dir nicht sagen, wie lebendig ich mich gerade jetzt fühle.« Jede Zeitung, alle Nachrichtenmagazine, das Fernsehen und der Hörfunk meldeten in allen grausigen Einzelheiten, was geschehen war, doch kein Wort davon ließ sich mit dem vergleichen, was wirklich in jenem Schlafzimmer geschah, als er Isabella in die Augen schaute und sie ermordete.
Er schnitt Isabella das Herz heraus.
Er hielt ihr noch schlagendes Herz in seinen Händen und beobachtete, wie es starb. Dann durchstach er es mit einer Harpune aus seiner Taucherausrüstung. Er durchbohrte ihr Herz.
Das war der Anhaltspunkt, den er hinterließ.
Er hatte den Eindruck, daß er tatsächlich beobachten konnte, wie Isabellas Geist ihren Körper
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