Patterson, James - Alex Cross 04 - Wenn Die Mäuse Katzen Jagen
Herdboden und hörte plötzlich ein leises Scheppern. Metall stieß auf Metall.
Ich holte mit der Schaufel die Asche heraus, in der etwas verborgen war, das hart und schwer war. Ich hatte keine hohen Erwartungen, schließlich sammelte ich nur Fakten, jede Kleinigkeit, sogar den Inhalt eines alten Herdes. Ich schüttete die Asche auf die Werkbank und strich sie glatt.
Dann entdeckte ich, worauf ich mit der Schaufel gestoßen war. Ich drehte das neue Beweisstück mit der Schaufelspitze um. Na also, endlich hatte ich etwas gefunden, das erste Beweisstück! Es war Alex Cross’ Polizeimarke, versengt und verkohlt.
Jemand hatte gewollt, daß wir die Marke fanden. Der Eindringling will spielen! Er spielt mit uns Katz und Maus.
81.
Ile de France
Dr. Abel Sante war normalerweise ein ruhiger und gefaßter Mensch. Er galt unter Medizinern als hochintelligent, aber überraschend normal. Er war außerdem ein netter Mensch, ein freundlicher Arzt.
Im Moment versuchte er verzweifelt, sein Bewußtsein auf einen anderen Ort zu lenken als den, an dem sein Körper war. Fast jeder andere Ort im Universum wäre ihm dabei recht gewesen.
Er hatte schon mehrere Stunden mit der präzisen Erinnerung an Einzelheiten aus seiner angenehmen, fast idyllischen Kindheit in Rennes verbracht, dann an seine Studienjahre an der Sorbonne und der Ecole Pratique de Médecine. Er hatte Sportereignisse im Tennis und im Golf an sich vorbeiziehen lassen, er hatte seine siebenjährige Liebesbeziehung zu Regina Becker nochmals durchlebt – zu der lieben, bezaubernden Regina.
Er mußte einfach an einem anderen Ort sein, irgendwo existieren, nur nicht an dem Ort, an dem er war. Er mußte in der Vergangenheit leben, vielleicht sogar in der Zukunft, aber nicht in der Gegenwart. Er fühlte sich an Der englische Patient erinnert. Er war jetzt Count Almasy, nur war seine Qual noch schlimmer als Almasys grauenhaft verbranntes Fleisch: Er war in der Gewalt von Mr. Smith.
Er dachte ständig an Regina, und ihm wurde bewußt, wie sehr er sie liebte. Was für ein Idiot war er gewesen, daß er sie nicht schon vor Jahren geheiratet hatte. Was für ein arroganter Mistkerl, was für ein Vollidiot er doch war!
Wie sehnsüchtig er sich jetzt wünschte zu leben, sich danach sehnte, Regina wiederzusehen. Das Leben kam ihm in diesem Moment, an diesem schrecklichen Ort, unter diesen ungeheuerlichen Umständen so verdammt kostbar vor. Nein, es war nicht gut, so zu denken. Es bedrückte ihn und brachte ihn zurück in die Realität, in die Gegenwart. Nein! Geh im Geist an einen anderen Ort! Überallhin, nur nicht hierbleiben. Doch sein gegenwärtiger Gedankengang führte ihn wieder in diesen winzigen Raum, ein unendlich kleines X auf dem Globus, wo er gefangengehalten wurde. Ausgeschlossen, daß ihn hier jemand fand, weder die Flics noch Interpol, weder die französische Armee noch die englische, weder die Amerikaner noch die Israelis hatten eine Chance!
Dr. Sante konnte sich die Wut und die Empörung vorstellen, die Panik, die jetzt in Paris und ganz Frankreich herrschte. B E
KANNTER A RZT UND D OZENT ENTFÜHRT ! Etwa so würde die
Schlagzeile von Le Monde lauten. Oder aber auch: N EUE
G REUELTAT VON M R . S MITH IN P ARIS .
Er war das Opfer dieser Greueltat! Er war sich sicher, daß bereits Zehntausende von Polizisten und zusätzlich die Armee nach ihm suchten. Natürlich wurden mit jeder Stunde seines Verschwindens seine Überlebenschancen geringer. Er wußte das, weil er Artikel über Mr. Smiths gespenstische Entführungen und das Schicksal der Opfer gelesen hatte.
Warum ausgerechnet ich? Allmächtiger Gott, er konnte diesen teuflischen Monolog nicht länger ertragen. Er konnte auch diese zusammengekrümmte Stellung, diesen schrecklich engen Raum keine Sekunde länger ertragen. Er konnte es einfach nicht, keine Sekunde länger! Keine Sekunde länger! Er bekam keine Luft!
Er würde hier drin sterben. Hier drin, in diesem verfluchten Speisenaufzug, der zwischen zwei Stockwerken steckengeblieben war, in einem gottverlassenen Haus auf der Ile de France, irgendwo in Paris. Mr. Smith hatte ihn in den Speisenaufzug gesteckt, ihn hineingestopft wie ein Bündel schmutziger Wäsche, und dann dort zurückgelassen – Gott allein wußte, wie lange schon. Es schienen Stunden zu sein, mindestens, aber Abel Sante konnte es nicht mehr genau sagen.
Der quälende Schmerz kam und ging, durchströmte seinen Körper in Wellen. Sein Hals, seine Schultern und seine Brust schmerzten
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