Patty Janes Frisörsalon
daà all die grausamen Dinge, die ihre Eltern je zu ihr gesagt hatten, nichts waren, gar nichts, im Vergleich zu den Worten, die ihr Mann eben zu ihr gesagt hatte.
Mit einem Gefühl, als wäre er der Schule verwiesen worden â voll Angst und freudiger Erregung zugleich â, trat Thor aus dem Supermarkt. Ein Windstoà erfaÃte den Schnee und er wirbelte ihm um die FüÃe. An der Ecke blieb er stehen und klappte seinen Kragen hoch. Die guten Manieren, die Ione ihm eingebleut hatte, mahnten ihn, in den Laden zurückzulaufen und sich bei Patty Jane zu entschuldigen, doch das Triumphgefühl dämpfte den Impuls. Als die Ampel auf Grün schaltete, sprintete er über die StraÃe, als hätte ihm jemand einen Startschuà gegeben.
An diesem Abend besuchte er seine Englischdozentin (die ihn gebeten hatte, sich jederzeit bei ihr Rat zu holen) und Mary Parker, die Einpeitscherin im Gopher-Football-Team.
Die Dozentin flüsterte: »Versprich mir, daà du heute abend Blake liest«, als er sie bebend unter der Chenilledecke zurücklieÃ. Und Mary Parker hatte das Gopher-Kampflied gesungen, während er sich ankleidete. »Du hast das Finale erreicht«, rief sie ihm nach, als er die Treppe vor ihrem Haus hinuntersprang. »Du kriegst das goldene Sportabzeichen in Sachen Liebe.«
Als er später durch die stillen StraÃen ging, schlich die Scham sich an; zuerst wie ein scheues Tier, das er in Erinnerung an die Grübchen zu beiden Seiten von Mary Parkers SteiÃbein abschütteln konnte. Doch je länger er ging, desto hartnäckiger hängte sich die Scham an ihn, wie ein treuer Hund. Am östlichen Horizont über dem Mississippi dehnte sich das rosa Band der Morgenröte, und als er an den Uferfelsen, von denen sich schwarze Baumäste wie arthritische Finger erhoben, die River Road hinunterging, konnte er das Bild Patty Janes, die in die Steppdecke gewikkelt am Küchentisch saà und auf ihn wartete, nicht mehr loswerden.
Er hatte Sodbrennen, und sein Kopf dröhnte. Er hatte bei der Englischdozentin eine halbe Flasche süÃen Wein getrunken und bei der Einpeitscherin Bier.
Vielleicht war Patty Jane mittlerweile doch eingeschlafen, vielleicht hatte sie die Lernabschnitte in seinen Lehrbüchern durchgelesen (»Ich möchte doch wissen, was du lernst«), vielleicht hatte sie schlieÃlich gedacht, jetzt ist SchluÃ, ich kann nicht länger wach bleiben. Sie schlief meistens mit offenem Mund, und manchmal zuckte sie und wimmerte wie ein schlummerndes Hündchen.
Eine so tiefe Zärtlichkeit erfaÃte Thors Herz, daà er meinte, er könnte vielleicht weinen. Er hoffte, es würden Tränen flieÃen, viele Tränen, die ihn irgendwie freisprächen.
»Ich bin ein Schuft«, sagte er. Doch so sehr er sich zu erniedrigen versuchte, so konnte er doch nicht umhin, seine schillernden Selbstbeschuldigungen zu bewundern.
Da versteckten sich Scham und schlechtes Gewissen hinter einem Baum, und seine Gedanken richteten sich auf ein anderes Bild von Mary Parker, die mit dem gleichen Feuer, mit dem sie sich an der Seitenlinie des Gopher-Stadions einsetzte, auf dem Bett gestanden hatte, splitterfasernackt, und ihren Anfeuerungstanz aufgeführt hatte. Ihr dünner, strammer Körper hatte mit dem Patty Janes, der von der Schwangerschaft voll und reif war, nichts gemein. Mein Kind, dachte er, von einem inneren Drängen gepackt. Ich werde mir mehr Mühe geben, nahm er sich vor; ich werde Patty Jane in die Arme schlieÃen, und wenn sie mir nicht mehr böse ist, gehe ich mit ihr frühstücken, und dann kaufen wir vielleicht so ein Ding, eine Wickelkommode. Für unser Kind.
Thor begann zu laufen. Es tat ihm gut, die kalte Luft in seiner Lunge und an seinem bloÃen Kopf zu spüren. Der Himmel wurde langsam hell, und Thor meinte, stundenlang laufen zu können. In der Häuserreihe mit Blick zum Fluà sah er jemanden den Hügel vor einem groÃen Haus hinunterschlittern. Sie winkten einander zu, zwei Verschwörer im Morgengrauen. Der Schneewall zwischen den Bäumen, die die breite StraÃe säumten, war hoch. Er sprang über ihn hinweg auf die StraÃe und sprang noch einmal zurück, weil es so ein Spaà war. Er dachte an die Bilder einer Wochenschau, die er einmal gesehen hatte: Jesse Owens auf der Berliner Olympiade beim Hürdenlauf; wie seine Beine in dem Moment ausgesehen hatten, als er die
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