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Patty Janes Frisörsalon

Patty Janes Frisörsalon

Titel: Patty Janes Frisörsalon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lorna Landvik
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Hürde übersprang; der scharfe, schöne Winkel von Knochen, Haut und Muskeln.
    Tempo zulegend, übersprang Thor mit fliegendem schwarzen Mantel, die Arme an den Ellbogen abgeknickt, noch einmal den Schneewall. Höher trugen ihn seine Beine, trieben ihn schneller heimwärts.
    Ein Gedanke erfüllte ihn: Ich bin ein Reh. Es war sein vorletzter Gedanke, als er mit den Füßen auf dem eisigen Kamm des Schneewalls ins Rutschen geriet und vorwärts geschleudert wurde. Er war der Geschwindigkeit und der Wucht seines Sturzes hilflos ausgeliefert, und unmittelbar bevor er mit dem Kopf gegen den breiten Stamm einer Eiche schlug, war noch Zeit für einen letzten Gedanken: Patty Jane.
    Als das Telefon läutete, spielte Harriet gerade ein Stück von Mendelssohn auf ihrer neuen Lyon-Healy-Harfe. Es war ein herrliches Instrument, vergoldet, der Resonanzboden mit einer Girlande von Blumen bemalt. Avel hatte sie, eine Woche nachdem sie ihre Musikstunden aufgenommen hatte, in ihre Wohnung gebracht. Harriets Tagesarbeit bestand jetzt darin, auf ihrer Harfe und ihrer Trompete zu üben, und sie machte mit Freuden Überstunden.
    Avel, der in zwei Tagen zu einer Handelskonferenz nach Antwerpen in Belgien abreisen sollte, lag auf dem antiken Sofa, das er Harriet ebenfalls geschenkt hatte, und vermißte die Geliebte bereits. Ab und zu nickte er ein und träumte, er wäre im Himmel und der Oberengel spielte ihm eine Serenade.
    Harriet trug einen dunkelblauen Morgenrock aus chinesischer Seide. Avel hatte den Stoffballen im Hinterzimmer seines Schneiders gesehen und sofort einen Morgenrock für Harriet bestellt, die, als sie ihn ihm vorführte, scheu sagte: »Dagegen kommt Flanell natürlich nicht an.«
    Avel zuckte zusammen, als das Telefon läutete. Mendelssohn endete abrupt, als wären die Harfensaiten durchschnitten worden. Harriet stand auf. Sie und Avel sahen einander an. Manchmal verlor sie das Maß und machte bis zum Morgen Musik, aber wer sonst war noch um halb fünf Uhr morgens auf und rief andere Leute an?
    Der seidene Morgenrock folgte fließend Harriets Bewegungen, als sie zum Telefon ging.
    Â»Hallo?« sagte sie leise, den Hörer mit beiden Händen haltend.
    Â»Harriet!« Es war Patty Jane. »Harriet, bitte komm rüber.«
    Â»Oh, Patty Jane, kommt das Baby?«
    Â»Nein«, antwortete Patty Jane. »Komm einfach.«
    Harriet legte auf, zündete sich mit einer Hand eine Zigarette an und löste mit der anderen die Schärpe um den Morgenrock.
    Â»Laß das Auto an, Avel«, sagte sie, durch den Rauch blinzelnd, der von ihrer Zigarette aufstieg. »Das war meine Schwester.«
    Die Gerüche aus Vogstads Bäckerei, wo mit Volldampf gearbeitet wurde, begleiteten sie zu Patty Janes Wohnung hinauf.
    Â»Er hat mich verlassen, ich weiß es«, sagte Patty Jane. Sie drückte die Handballen in ihre Augen und grub die gespreizten Finger in ihr Haar.
    Â»Aber Patty Jane«, sagte Avel, »warum sollte Thor dich verlassen? Er liebt dich.«
    Mit der Unterlippe fing Patty Jane ein Bächlein auf, das aus ihrer Nase herabrann.
    Â»Nein, er liebt mich nicht«, widersprach sie. »Er liebt mich schon seit Monaten nicht mehr.«
    Sollten sie die Polizei anrufen? Die Krankenhäuser?
    Â»Versucht’s ruhig«, sagte Patty Jane, »es hat bestimmt niemand von ihm gehört.«
    Sie hatte recht. Weder war im Krankenhaus ein blonder, gutaussehender, vierundzwanzigjähriger Mann eingeliefert worden, noch hatte die Polizei einen Mann dieser Beschreibung festgenommen. Um sieben Uhr willigte Patty Jane ein, sich hinzulegen – »um des Kindes willen« –, und Harriet brachte Avel Binokel bei, während sie beide mit gespitzten Ohren nach den Schritten lauschten, die sie auf der Treppe zu hören hofften.
    Als Thor vierundzwanzig Stunden später immer noch nicht wieder da war, begleitete Ione die drei zum Polizeirevier in der Stadt, um eine Vermißtenanzeige aufzugeben. Ione saß hinten in Avels neuem roten Kaiser Dragon. Die schnittige Eleganz des Wagens und die weiß-rote Polsterung paßten nicht zu der gedrückten Stimmung der Insassen.
    Â»Du brauchst nicht mitzukommen«, sagte Harriet zu Ione, worauf diese entgegnete: »Ich muß.«
    Auf der Fahrt wurde nichts gesprochen. Ione musterte Patty Jane verstohlen, doch das Gesicht ihrer Schwiegertochter war durch die Pelzumrandung ihrer Kapuze verborgen.

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